Der Zirrusnebel NGC 6960 & NGC 6992/6995 im Sternbild Schwan (Cygnus) ist der größte und hellste Supernovaüberrest des nördlichen Himmels. Gleichzeitig gehört der Nebelkomplex zu den faszinierendsten und schönsten Deep Sky-Objekten der sommerlichen Milchstraße. Der Nebel wurde am 5. September 1784 von dem deutsch-britischen Astronomen Wilhelm Herschel, mit seinem 18,7 Zoll Spiegelteleskop in Slough (England), entdeckt. Herschel beschrieb die beiden hellsten Nebelteile sehr treffend: „Der westlichen Teil ist 2 Grad lang und ausgedehnt und verläuft durch 52 Cygni. Der östliche Teil ist ein verzweigter Nebel, der in mehrere Stränge geteilt ist und sich nach Süden wieder vereinigt“. Erste Fotografien des Nebels wurden bereits Ende des 19. Jahrhunderts von dem walisischen Astronomen Isaac Roberts angefertigt und veröffentlicht. Der Nebelkomplex ist auch unter den Namen „Schleiernebel“, „Veil Nebula“ oder „Cygnus Loop“ bekannt und in Sir Patrick Moores Caldwell-Katalog als Caldwell 33 und Caldwell 34 verzeichnet.
Ein heller Supernovaüberrest am Nordhimmel
Der Supernovaüberrest, der im wesentlichen aus zwei helleren Nebelgebieten besteht, besitzt zwar eine scheinbare Helligkeit von 7,0 mag, ist aufgrund seiner geringen Flächenhelligkeit für Amateurastronomen nicht leicht zu beobachten. Denn die Nebelfilamente verteilen sich auf ein Gebiet von 2,5° x 3,5° Grad am Himmel, was ungefähr dem sechsfachen Vollmonddurchmesser entspricht. Auf länger belichteten Fotografien, vor allem in kurzwelligen Spektralbereich, werden zarte Vorhänge und Nebelfilamente sichtbar. Noch vor ein paar Jahrzehnten galt der Zirrusnebels als Herausforderung für den Amateurastronomen, bis die schmalbandigen Nebelfilter auf dem Markt erschienen. Diese Filter, die auf diejenige Wellenlänge abgestimmt sind, in der die kosmischen Nebel bevorzugt leuchten, erhöhen den Kontrast gegenüber den Himmelshintergrund ganz beträchtlich. Unter Zuhilfenahme solcher Filter bietet der Supernovaüberrest heutzutage in jedem Teleskop einen interessanten Anblick, selbst an Orten mit leichter Lichtverschmutzung. Am stärksten leuchtet der Schleiernebel im Licht des zweifach ionisierten Sauerstoffs (O‑III), bei einer Wellenlänge von 496 und 501 Nanometer. Deshalb ist ein O‑III Filter, mit seiner hohen Kontraststeigerung, vor allem ab einer Teleskopöffnung von 6 Zoll, auch zu bevorzugen. Hat man mal die Chance, den Zirrusnebel auf einem Teleskoptreffen durch einen sehr großen Dobson zu beobachten, sind die zahlreichen Strukturen und Filamente des Nebels eine sprachlos machende und unvergessliche Erfahrung.

Der Zirrusnebel ist der im Optischen des Spektrums sichtbare Teil des Cygnusbogens (Cygnus Loop), einer Ansammlung von Emissions- und Reflexionsnebel im östlichen Bereich des Sternbilds Schwan. Die helleren und auch schwächeren Filamente tragen alle separate NGC- und IC-Nummern: NGC 6960 bildet den westlichen und NGC 6992/6995 sowie IC 1340 den östlichen Teil des Nebels. Dazwischen befindet sich „Pickerings Dreieck“ (Pickerings Triangular Whisp). Dieser Nebelteil besitzt keine NGC- oder IC-Nummer und wurde am 2. September 1904 von der amerikanischen Astronomin Williamina Fleming am Harvard Observatorium mit dem 24 Zoll Bruce-Refraktor fotografisch entdeckt. NGC 6974 und NGC 6979 stellen nur kleine und helle Knoten in Pickerings Dreieck dar. Der Namensgeber des Nebels war Edward Charles Pickering, zu dieser Zeit Direktor am Observatorium. Das Zentrum des Supernovaüberrests befindet sich ungefähr bei der Position RA 20h 51,1m und Dec +31° 00′.
Eine Supernova aus prähistorischer Zeit
Der Zirrusnebelkomplex ist mit einem Alter zwischen 5.000 bis 18.000 Jahren deutlich älter als sein berühmteres und deutlich kompakteres Pendant: der Krebsnebel Messier 1 im Sternbild Stier. Aufgrund seines fortgeschrittenen Alters haben sich die Überreste der damaligen Supernova vom Typ II, in Form einer Gasschale, bereits sehr weit in den Raum hinein ausgedehnt. Eigentlich sieht man auch nicht die Überreste des Sterns selber, sondern dessen Schockfront, die sich mit Überschallgeschwindigkeit im Raum fortbewegt. Diese entstand bei der Supernovaexplosion eines gealterten massereichen Sterns und regt nun die interstellare Materie der Umgebung, im H‑Alpha und im Licht des zweifach ionisierten Sauerstoffs (O‑III), zum Leuchten an.

Der Vorläuferstern war vermutlich ein B0-Stern von 12 bis 15 Sonnenmassen. Zum Zeitpunkt der Explosion war die Supernova mit ‑8,0 mag deutlich heller als die Venus. Unsere prähistorischen Vorfahren hätten den „neuen Stern“ sogar am Taghimmel sichten können. Im Gegensatz zum berühmten Krebsnebel im Stier hat man, trotz intensiver Suche, bis jetzt noch keinen kompakten stellaren Überrest in Form eines Neutronenstern, Pulsar oder Schwarzen Loch gefunden. Die Entfernung des Zirrusnebels war deshalb auch bis in die jüngste Zeit mit ziemlichen Unsicherheiten behaftet. Im Schnitt ging man davon aus, dass der Nebel zwischen 1.400 bis 2.600 Lichtjahre von der Erde entfernt sei. Nach neusten Messungen des Gaia-Satelliten beträgt die Entfernung des Zirrusnebels nun 735 Parsec bzw. 2.400 Lichtjahre. Die Entfernung eines 9,6 mag hellen Sterns, der sich in der Nähe des nordwestlichen Randes des Nebelkomplexes befindet, wurde durch Gaia mit hinreichender Genauigkeit vermessen. Der Sternenwind dieses Sterns zeigt Wechselwirkung mit der Stoßwelle der Supernovaexplosion, so dass er sich innerhalb des Supernovaüberrests befinden muss. Somit beläuft sich die wahre Ausdehnung des Cygnusbogens auf 150 x 120 Lichtjahre und sein Alter auf nunmehr 21.000 Jahre! Die Expansionsgeschwindigkeit der Stoßwelle hat sich in dieser Zeit von anfangs 10.000 auf nunmehr 150 Kilometer pro Sekunde verlangsamt.

Am Zirrusnebel wurden in den letzten Jahren zahlreiche Untersuchungen zur Struktur und Gasdynamik bei Supernovaüberresten durchgeführt, da das Nebelgebiet nicht von einem Vordergrundobjekt überdeckt wird. Hierbei wurden neben optischen auch Aufnahmen in unterschiedlichen Wellenlängenbereichen gewonnen. Das Hubble-Weltraumteleskop hat in Detailstudien u.a. Sauerstoff, Schwefel und Wasserstoff in den Nebelfilamenten nachgewiesen. Des Weiteren wurde die Ausdehnung des Schleiernebels vom HST zwischen 1997 und 2015 sogar direkt beobachtet und beträgt nur den Bruchteil einer Bogensekunde. Die dünnen Filamente, die wir von der Kante sehen, besitzen teilweise nur eine Breite von 6,5 Milliarden Kilometer, was ungefähr die Strecke zwischen der Erde und dem Zwergplaneten Pluto entspricht. Des Weiteren ist der Cygnusbogen eine Quelle intensiver Radio- und Röntgenstrahlung. Die Röntgenquelle Cygnus X‑5 stimmt mit dem Supernovaüberrest SNR G074.0–08.6 und demnach mit dem Cygnusbogen überein.
Beobachtung

Mit einem schmalbandigen Linienfilter vom Typ UHC oder O‑III ist der Zirrusnebel selbst für kleinere Teleskope ein überraschend einfaches und detailreiches Objekt. Um Details zu erkennen, kann man ruhig auf die halbe Millimeterzahl der Teleskopöffnung vergrößern. Der westliche Teil, NGC 6960, wird auch als „Sturmvogel“ und im Englischen als „The Witch’s Broom“ bezeichnet und ist unter einem dunklen Landhimmel und exzellenten Bedingungen bereits mit einem 10x50 Fernglas als schwache und in N‑S-Richtung orientierte „Rauchfahne“ erkennbar. Mit einem Refraktor von 3 bis 4 Zoll Öffnung und niedriger Vergrößerung erkennt man einen deutlich länglichen Nebel, der außerordentliche scharfe und helle Ränder besitzt. Allerdings überstrahlt 52 Cygni stellenweise die zarteren Nebelfilamente. Deshalb sollte hier auf jeden Fall auf einen UHC-Filter zurückgegriffen werden. Der Stern selber steht mit nur 200 Lichtjahren Entfernung allerdings weit im Vordergrund und ist nicht Teil von NGC 6960. Unter Zuhilfenahme eines Sechszöllers nimmt die Anzahl der Nebelfilamente deutlich zu. Ab hier ist auch ein O‑III Filter empfehlenswert, der den Kontrast zum Hintergrund sogar noch etwas steigern kann. Dabei ist der rund 20′ lange Abschnitt, nördlich von 52 Cyg, deutlich heller als der südliche. Ab 10 bis 12 Zoll Öffnung ist der Eindruck von NGC 6960 vergleichbar wie auf guten Astrofotos. Der Ostteil erscheint faserig. Der Teil nördlich von 52 Cyg ist scharf begrenzt und zweigeteilt. Der Südliche läuft diffus in den Hintergrund über.

Der 2,7° weiter östlich liegende und sichelförmig gebogene NGC 6992/6995 ist unter Hobbyastronomen auch als „Hexenhand“ und im Englischen als „Network Nebula“ bekannt. Dieser Nebelteil ist unter einem dunklen Landhimmel ebenfalls bereits mit einem 10x50 Feldstecher als geisterhaftes Leuchten von 1° Ausdehnung sichtbar. Oft ist dieser Bereich des Nebels im Feldstecher bei weitem besser zu sehen, als das weiter westlich stehende Nebelfilament um 52 Cygni. Denn dieser Teil des Supernovaüberrest ist noch ein klein wenig heller und wird nicht von einem hellen Stern überstrahlt. Besser für die Beobachtung der Hexenhand ist natürlich ein Teleskop mit einem niedrig vergrößernden Weitwinkelokular. Durch das größere Gesichtsfeld und die größere Austrittspupille kann die Flächenhelligkeit des Nebels voll ausgeschöpft werden. Mit einem Teleskop von 3 bis 4 Zoll Öffnung erscheint NGC 6992/6995 als matter in N‑S-Richtung orientierter Lichtstreifen. Zum Teil deuten sich mit dieser Öffnung sogar die ersten Strukturen an. Mit einem 6 bis 8 Zoll großen Teleskop wirkt er dann reich strukturiert, mit zahlreichen Nebelfilamenten und Helligkeitsvariationen, die sogar noch etwas auffälliger sind als die von NGC 6960. Südlich davon taucht dann noch IC 1340 auf. Dieser erscheint etwas schwächer als kammartiges in Richtung Westen weisendes Nebelgebiet. Besonders auffällig sind in mittleren bis großen Teleskopen die Lücken zwischen NGC 6992, NGC 6995 und IC 1340.
Zwischen diesen beiden hellen Nebelbögen befindet sich noch „Pickering’s Triangel“, der auch als „Pickering’s Triangular Whisp“ bekannt ist. Es ist ein dreieckförmiges, etwa 45′ x 15′ großes und weitaus schwächeres Nebelfilament. Um ihn aufzusuchen, schwenkt man Teleskop, von der nördlichen Spitze des Sturmvogels ausgehend, rund 1° nach Nordosten. Im Okular erscheint dann ein keilförmiger und feinfaseriger Nebel, der sich weiter nach Süden hin fortsetzt. Bei diesem Nebelteil ist – eine dunkle und transparente Nacht vorausgesetzt – auf jeden Fall ein O‑III Filter und mindestens 20 cm Teleskopöffnung erforderlich. Denn ohne Nebelfilter ist dieses schwache, aber überaus interessante Areal praktisch nicht zu sehen. Ab 10 bis 12 Zoll Öffnung erkennt man in diesem Teil des Nebels nun ebenfalls zahlreiche Strukturen.
Der Schleiernebel befindet sich direkt unterhalb der östlichen Schwinge des Sternbilds Schwans und in jenem Dreieck, welches aus Zeta (3,2 mag), Epsilon (2,5 mag) und 52 Cygni (4,2 mag) gebildet wird. Das Nebelgebiet, knapp 3° südlich von Epsilon Cygni gelegen, ist am besten in den Sommer- und Herbstmonaten beobachtbar, wenn dass Sternbild Schwan bei uns hoch im Süden am Himmel steht. NGC 6960 ist relativ leicht aufzufinden, wenn man den Stern 52 Cyg genau in die Suchermitte einstellt. Nun sollte mit einem niedrig vergrößernden Okular ein geisterhafter und dünner Schleier auftauchen, der sich hinter und östlich von 52 Cyg entlang zieht. Verwendet man einen Schmalbandfilter, springt der Nebel einem sofort ins Auge. NGC 6992/6995 steht 2 ½ Grad östlich von NGC 6960. Um ihn aufzufinden, lässt man am besten den Nebelfilter im Okular, stellt den nördlichen Ausläufer von NGC 6960 ein und schwenkt anschließend nach Osten, bis NGC 6992/6995 ins Gesichtsfeld kommt. Um ganz sicher zu gehen, kann man natürlich auch NGC 6960 eingestellt lassen und warten, bis nach ungefähr 9 Minuten die Erddrehung den anderen Nebelteil ins Okulargesichtsfeld gebracht hat.
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Steckbrief für NGC 6960 & NGC 6992/6995
Objektname | NGC 6960 NGC 6992 NGC 6995 |
Katalogbezeichnung | IC 1340, NGC 6979, NGC 6974, Sh2-103, LBN 191, CED 182B, CED 182C, Caldwell 33, Caldwell 34 |
Eigenname | Zirrusnebel, Cirrus-Nebel, Schleiernebel, Veil Nebula, Cygnus-Loop |
Typ | Supernovarest + Reflexions- & Emissionsnebel, SNR + EN, R |
Sternbild | Schwan (Cygnus) |
Rektaszension (J2000.0) | 20h 45m 42,0s 20h 56m 24,0s 20h 57m 06,0s |
Deklination (J2000.0) | +30° 43′ 00″ +31° 43′ 00″ +31° 13′ 00″ |
V Helligkeit | 7,0 mag |
Flächenhelligkeit | 13,0 mag |
Winkelausdehnung | 70,0′ x 6,0′ 60,0′ x 8,0′ 12,0′ x 12,0′ |
Durchmesser | 150 x 120 Lichtjahre |
Entfernung | 2.400 Lichtjahre |
Beschreibung | pB,cL,eiF,Kappa Cyg invl; H V 15;Veil Nebula western part;* 52 CYG invl eF,eL,eE,eiF,Bifid; H V 14;Veil Nebula eastern part F,eL,neb&st in groups |
Entdecker | Wilhelm Herschel, 1784 |
Sternatlanten | Cambridge Star Atlas: Chart 6 & 7 Interstellarum Deep Sky Atlas: Chart 29 Millennium Star Atlas: Charts 1169–1170 (Vol III) Pocket Sky Atlas: Chart 62 Sky Atlas 2000.0: Chart 9 Uranometria 2nd Ed.: Chart 47 |
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