Der Nordamerikanebel (NGC 7000) im Sternbild Schwan (Cygnus) wurde wahrscheinlich schon von dem deutsch-britischen Astronomen Wilhelm Herschel in Slough (England) am 24. Oktober 1786 beobachtet, der ihn als schwachen, extrem großen und diffusen Nebel beschrieb. Sicher weiß man aber, dass sein Sohn John Herschel den Nebel schon vor 1833 entdeckt und ihn anschließend im New General Catalogue aufgenommen hatte. Seinen Namen, aufgrund seiner Ähnlichkeit mit dem nordamerikanischen Kontinent, erhielt NGC 7000 aber erst vom Heidelberger Astronomen und Astrofotografen Max Wolf, dem Pionier der Nebelfotografie, der ihn am 12. Dezember 1890 mit dem 6 Zoll Doppelastrographen auf seiner Privatsternwarte in Heidelberg ablichtete. Das Objekt ist auch in Sir Patrick Moores Deep-Sky-Liste als Caldwell 20 katalogisiert und gehört zu den interessantesten Gasnebeln am nördlichen Sternhimmel. Der unmittelbar westlich an den Nordamerikanebel angrenzende Pelikannebel (IC 5070/5067) wurde am 10. Juni 1891 von Max Wolf aufgefunden und erinnert an die Form eines Pelikans. Der amerikanische Astronom Stewart Sharpless erkannte auf Aufnahmen des Palomar Sky Surveys im Jahr 1959, dass der Nordamerikanebel zur selben H‑II-Region wie der Pelikannebel gehört und katalogisierte beide Objekte als Sharpless 117 (Sh2-117).
Eine große Sternentstehungsregion in der nördlichen Milchstraße
Der Nordamerikanebel liegt inmitten der Sommermilchstraße, knapp 3° östlich des hellen Hauptsterns Deneb (Alpha Cygni) im Schwan. Er befindet sich nach neusten Erkenntnissen – auf Grundlage von Messungen des Gaia-Astrometrie-Satelliten – 2.590 Lichtjahre von der Erde entfernt. Damit gehört NGC 7000 zu den uns am nächst gelegenen Sternentstehungsregionen. Der weiter westlich liegende, aber deutlich schwächer erscheinende Pelikannebel gehört zum selben Nebelkomplex und wird durch eine Dunkelwolke vom Nordamerikanebel getrennt. NGC 7000 besitzt eine Ausdehnung von 120 x 100 Bogenminuten am Himmel, was dem Vierfachen der Fläche des Vollmondes entspricht. Demzufolge besitzt er, trotz einer Gesamthelligkeit von immerhin 4,5 Größenklassen, nur eine geringe Flächenhelligkeit und ist relativ schwierig visuell zu beobachten, vor allem wenn der Himmel aufgehellt ist. Allerdings taucht er, zusammen mit IC 5070, schon auf etwas länger belichteten Fotos dieser Himmelsregion als markanter roter Nebelfleck auf und lässt sich mit einem normalen Teleobjektiv von 200 mm Brennweite überraschend einfach fotografieren. Unter einem dunklen und klaren Himmel ist NGC 7000 bereits in einem Feldstecher erkennbar. IC 5070 bleibt zumeist unsichtbar. Die gesamte HII-Region Sh2-117 besitzt einen Durchmesser von 140 x 170 Lichtjahren. Sie ist Bestandteil einer Riesenmolekülwolke im Orion-Cygnus-Arm der Milchstraße, mit einer Gesamtmasse von 50.000 Sonnen!
Im Nordamerikanebel sind weitere Deep-Sky-Objekte enthalten. Mit NGC 6989 im nordwestlichen Teil, NGC 6996 im Norden, NGC 6997 im westlichen Teil sowie Collinder 428 im Osten, sind gleich vier junge offene Sternhaufen eingebettet, die allerdings keine heißen Mitgliedssterne mehr besitzen. Sie sind höchstwahrscheinlich nicht mit dem Nebel assoziiert. Das hellste Gebiet in NGC 7000 ist die „Golfregion“, die auch als „Cygnus Wall“ bezeichnet wird. Sie ähnelt vom äußeren Erscheinungsbilds Mexiko und Mittelamerika. In diesem W‑förmigen rund 20 Lichtjahre langen Abschnitt des Nebels, findet auch die stärkste Sternentstehung statt. Der Nordamerika- und Pelikannebel werden durch eine Molekülwolke um den Dunkelwolkenkomplex LDN 935 getrennt, die das Licht der dahinter liegenden Sterne und Nebelteile blockiert. Die Dunkelwolke wurde 1962 von der amerikanischen Astronomin Beverly T. Lynds katalogisiert. Des Weiteren sind mit Barnard 352, Barnard 353 und Barnard 355 weitere Dunkelnebel im Nordamerikanebel enthalten. Der Pelikannebel ist mit 60 x 50 Bogenminuten scheinbarer Größe am Himmel flächenmäßig um die Hälfte kleiner und mit 8 mag Gesamthelligkeit auch deutlich lichtschwächer als NGC 7000.
Der hellste Teil des Pelikannebels ist IC 5067, der den Kopf des Vogels bildet. Dort findet intensive Sternentstehung statt. Das Licht der jungen und heißen Sterne heizt das ihnen umliegende Gas auf und treibt es in Form einer Ionisationsfront nach außen. Dort befindet sich auch eine lang gezogenen Gas- und Staubwolke, die von einem jungen Stern ausgestoßen wurde und als Herbig-Haro-Objekt HH 555 bekannt ist.
Ionisierender Stern
Der Nordamerika- und Pelikannebel, inklusive der weiter südlich gelegene Nebelkomplex um IC 5068, gehören zu einer großen Wasserstoffregion im Schwan, wo auch heute noch neue Sterne entstehen. Die hellsten und heißesten von ihnen ionisieren das ihnen umgebende Gas, so dass intensiv rotes Licht der H‑Alpha-Linie emittiert wird. Welche Sterne es allerdings sind, die die Nebel in dieser interessanten Himmelsregion zum Leuchten anregen, ist nach wie vor nicht genau bekannt. In der Vergangenheit wurde, unter anderem von Edwin Hubble, in Betracht gezogen, dass Deneb selber der Verursacher der Ionisation ist. Dann müsste der Nebelkomplex allerdings nicht mehr als 1.600 Lichtjahre von der Erde entfernt sein. Später stellte sich aber heraus, dass Deneb nicht heiß genug leuchtet, um den Nebel zu ionisieren.
Im Jahr 2004 wurde ein junger Stern der 13. Größenklasse mit der Bezeichnung J205551.3+435225 als vermutliche Anregungsquelle identifiziert, der sich hinter der Dunkelwolke LDN 935, direkt im Zentrum von Sh2-117, befindet. Sein Licht wird durch die Dunkelwolke um 9,6 Größenklassen abgeschwächt. Dieser junge, massereiche Stern der Spektralklasse O3.5 besitzt eine Oberflächentemperatur von 40.000 Kelvin und ionisiert mit seinem Ultraviolettstrahlung das ihm umgebende Wasserstoffgas. Stünde dieser Stern vor der Dunkelwolke, nahe der Küste von Florida, würde er mit einer Helligkeit von 3,6 mag fast so hell wie Albireo leuchten. Albireo ist übrigens der zweithellste Stern des Sternbilds, der den Kopf des Schwans markiert und ein hübscher optischer Doppelstern ist. Der niederländische Radioastronom Gart Westerhout endeckte im Jahr 1958, dass die gesamte Region um den Nordamerikanebel eine starker Radiostrahlung emittiert. Sie trägt die Bezeichnung W80.
Beobachtung
Unter exzellenten Bedingungen ist der Nordamerikanebel bereits in einem lichtstarken 7x50 Fernglas, unmittelbar östlich von Deneb, erkennbar. In meinem 10x70 Fujinon-Feldstechers ist NGC 7000, mit seiner charakteristischen Form, überraschend einfach zu sehen. Ist man im Besitz eines Nebelfilters kann man versuchen, den Nordamerikanebel mit bloßem Auge zu erhaschen, was vor allem unter einem tiefschwarzen Himmel bei guter Durchsicht gelingen wird. Benutzt man ein Teleskop, so beobachtet man am besten bei geringster Vergrößerung und großer Austrittspupille. Die Öffnung des Teleskops ist bei so einem flächenhaften Objekt eher zweitrangig. Besitzer kleiner Fernrohre von 3 bis 4 Zoll Öffnung, mit einem großen Gesichtsfeld und bei Öffnungsverhältnissen von f/4 bis f/8, sind hier deutlich im Vorteil. Denn nur diese Teleskope erlauben ein großes Gesichtsfeld mit gleichzeitig großer Austrittspupille. Selbst ein Okular mit 1,5° scheinbaren Gesichtsfeld kann hier nur die „Golfregion“ vollständig erfassen. Ein UHC-Filter hilft ungemein bei der visuellen Wahrnehmung des Nebels besonders, wenn der Himmel durch leichte Lichtverschmutzung aufgehellt wird. „Mexiko“ und „Mittelamerika“, als hellste Nebelteile, stechen dann viel deutlicher heraus. Im Okular erkennt man hier eine Art diffuse Nebelzunge, die von der vorgelagerten Dunkelwolke scharf abgegrenzt wird. Der Zentralteil von Mexiko ist dunkler als die Ränder. Das restliche Nebelgebiet im Norden geht diffus in den Hintergrund der Sommermilchstraße über und enthält auch helle und dunklere Gebiete. Die Halbinsel „Florida“ ist der schwächste Teil der Golfregion und mit kleiner Öffnung nicht einfach zu erkennen. Knapp oberhalb von Florida befindet sich der 10 mag helle offene Sternhaufen NGC 6997. Dieser enthält knapp zwei Dutzend Sterne der 11. Größenklasse und schwächer, auf einer Fläche von der halben Größe des Vollmondes. Im östlichen Teil des Nordamerikanebels können wir noch den 8 mag hellen lockeren Sternhaufen Collinder 428 bewundern. Dort stehen auf ein Gebiet von 10 Bogenminuten Ausdehnung rund ein Dutzend Sterne.
IC 5070, 1,5° westlich des „Golf von Mexiko“ gelegen, ist deutlich schwieriger zu beobachten. Hier benutzt man am besten einen schmalbandigeren Filter z.B. einen O‑III oder H‑Beta-Nebelfilter, die den Kontrast gegenüber dem Himmelshintergrund noch deutlicher erhöhen. Auch hier gilt mit geringster Vergrößerung und größter Austrittspupille zu beobachten. Der hellste Teil des Pelikannebels befindet sich ungefähr ein halbes Grad nordöstlich von 56 Cygni und trägt die Bezeichnung IC 5067. Vor allem mit Teleskopen ab 6 bis 8 Zoll Öffnung und unter Zuhilfenahme eines O‑III-Filters, gelingen Sichtungen der hellsten Nebelteile wie Kopf und Schnabel des Pelikans.
NGC 7000 sind am besten in den Sommer- und Herbstmonaten beobachtbar, wenn der nördliche Bereich des Sternbilds Schwan zenitnah kulminiert. Um den Nordamerikannebel aufzusuchen, wird als erstes Deneb (Alpha Cygni, … mag) in die Suchermitte eingestellt, der die Spitze des „Nördlichen Kreuzes“ und die Spitze des Sommerdreiecks markiert. 5 Grad südöstlich von Deneb befindet sich der 3,7 mag helle Stern Xi Cygni. Dieser Stern markiert ungefähr das östliche Ende von NGC 7000. Auf halber Strecke der Verbindungslinie zwischen Alpha und Xi Cyg befindet sich der Stern 57 Cyg (4,8 mag) und etwas südwestlicher davon der 5,1 mag helle Stern 56 Cygni. Nun sollte im Sucher, südöstlich der beiden Sterne, ein Sternmuster zu erkennen sein, dass die (windschiefe) Form des Sternbilds Orion besitzt. Dieser „Kleine Orion“ markiert mit der „Golfregion“ den hellsten Teil des Nordamerikanebels.
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Steckbrief für NGC 7000 & IC 5070/5067
Objektname | NGC 7000 IC 5070 |
Katalogbezeichnung | Sh‑2 117, LBN 373, IC 5067, LBN 350, CED 183C, Caldwell 20 LBN 350 |
Eigenname | Nordamerikanebel, North America Nebula Pelikannebel, Pelican Nebula |
Typ | Emissionsnebel, EN |
Sternbild | Schwan (Cygnus) |
Rektaszension (J2000.0) | 20h 58m 50,0s 20h 50m 48,0s |
Deklination (J2000.0) | +44° 31′ 00″ +44° 11′ 00″ |
V Helligkeit | 4,0 mag 8,0 mag |
Winkelausdehnung | 120,0′ x 100,0′ 60,0’x50,0′ |
Durchmesser | 90 Lichtjahre |
Entfernung | 2.590 Lichtjahre |
Beschreibung | F,eeL,dif nebulosity; H V 37?;North America nebula;Cl NGC 6997 invl F,dif; Pelican Nebula;w IC 5067;56 Cyg invl |
Entdecker | Wilhelm Herschel, 1786 Max Wolf, 1891 |
Sternatlanten | Cambridge Star Atlas: Chart 6 & 7 Interstellarum Deep Sky Atlas: Chart 17 Millennium Star Atlas: Charts 1125–1126 (Vol III) Pocket Sky Atlas: Chart 62 Sky Atlas 2000.0: Chart 9 Uranometria 2nd Ed.: Chart 32 |