Es ist kurz vor 1 Uhr, am Sonntagmorgen, dem 21. Januar 2024. Kurz bevor ich zu Bett gehen wollte schaute ich noch mal auf X/Twitter nach, wo mir eine Meldung von Richard Moissl auffiel. Ein kleiner Asteroid mit der vorläufigen Bezeichnung Sar2736, von ungefähr 1 Meter Durchmesser, sollte noch in jener Nacht westlich von Berlin runtergehen und eine gut sichtbare Feuerkugel am Himmel verursachen.
Von meinem Wohnhaus in der Spreewaldstadt Lübben aus sollte das Sichtgebiet der Feuerkugel direkt in Richtung Nordwesten liegen. Denn Berlin befindet sich von meinem Heimatort aus gesehen nur 70 Kilometer Luftlinie von mir entfernt. Also setzte ich eine Meldung in unserer WhatsApp-Gruppe der HTT-Südkurve ab. Ich hatte die Hoffnung, dass Jemand die Nachricht, zu dieser späten Stunde, noch empfängt. Denn der Himmelskörper sollte (laut Berechnung um 01:33 Uhr Mitteleuropäischer Zeit) bereits in der nächsten halben Stunde in die Erdatmosphäre über Berlin eintreten. Leider reichte die Zeit nicht mehr aus, um die Kamera und das Stativ startklar zu machen.
Ich stellte mir einen Timer zum vorausberechneten Zeitpunkt und schaute kurz vor 1:30 Uhr aus dem Badezimmerfenster. Dort hatte ich einen guten Horizontblick in Richtung Nordwesten. Und tatsächlich: exakt zum voraus berechneten Zeitpunkt trat der Himmelskörper im Sternbild Perseus, ca. 25° westlich des zunehmenden Mondes, in die Erdatmosphäre ein. Dieser erzeugte einen sehr hellen, weiß bis gelblich leuchtenden Feuerball-Boliden. Am Ende leuchtete dieser noch orange auf und zerbrach in mehrere Bruchstücke. Die Feuerkugel verlosch schließlich in nur 12° Höhe über dem Horizont im Sternbild Dreieck. Höchstwahrscheinlich aufgrund des vom Mond aufgehellten Himmels, war keine Nachleuchtspur zu sehen.
Etwas enttäuscht war ich von der Helligkeit des Meteors. Nach meinen Schätzungen erreichte dieser eine scheinbare Helligkeit zwischen ‑6 bis ‑7 mag. Somit war sie deutlich heller als die Venus in ihrem größten Glanz, aber deutlich lichtschwächer als der Halbmond. Aufgrund seines Durchmesser habe ich gehofft, dass die Feuerkugel zumindest Vollmondhelligkeit erreichen würde. Andere Beobachter in anderen Landesteilen meldeten den Boliden sogar noch etwas heller. Solch helle Sternschnuppen sind gar nicht mal so selten, wenn das Timing stimmt.
Eine mondhelle Feuerkugel erschien mir zum Beispiel Anfang Dezember 2021 bei der nächtlichen Beobachtung, als ich gerade dabei war, die Ausrüstung für die Langzeitbelichtung einzurichten. Dieser Meteor beleuchtet taghell die Umgebung für wenige Sekunden. Zwei Jahre zuvor sah ich einen mondhellen Feuerball-Boliden während des 20. Herzberger Teleskoptreffens kurz nach Sonnenuntergang am noch hellen Dämmerungshimmel. Dieser verursachte sogar ein knisterndes Geräusch.
Kurz nach diesem Ereignis trafen auch schon die ersten Sichtungsmeldungen auf X/Twitter ein, inklusive Filmaufnahmen von Webcams und Privatvideos. Auch ich setzte kurz darauf eine Sichtungsmeldung auf der Webseite des Arbeitskreis Meteore ab. Diese wird dann direkt an die International Meteor Organisation (IMO) weitergeleitet, die alle Sichtungsmeldungen sammelt. Denn alle Meldungen, Fotos und Videos von (vorausberechneten) Asteroideneinschlägen sind wichtig für die Wissenschaft und helfen dabei, potentielle Gefahren solcher Ereignisse abzuschätzen. Da das Gebiet, wo der kleine Asteroid in die Atmosphäre eingedrungen ist, gut bekannt ist, können nun Meteoritensucher eventuell potentielle Bruchstücke des Himmelskörpers finden.
Aber wen haben wir es eigentlich zu verdanken, dass wir heute Morgen Zeuge eines kurzfristig vorausberechneten Himmelsereignisses wurden? Es war der ungarische Amateurastronom und Asteroidenentdecker Krisztián Sárneczky. Er hat ihn nur wenige Stunden zuvor, um 21:48 Uhr Weltzeit, an seiner Sternwarte in Piszkéstető (Ungarn) entdeckte. 🙂
Chronologie des vorhergesagten Asteroideneinschlags
- Am 20.01.2024 um 22:48 MEZ wird ein Asteroid an der GINOP-KHK Piszkéstető Mountain Station, 80 Kilometer nordöstlich von Budapest (Ungarn), von Krisztián Sárneczky entdeckt.
- In den nächsten 2 1/2 Stunden gibt es insgesamt 178 Beobachtungen, bis zuletzt um 01:14 Uhr (MEZ) von G. Galli vom GiaGa Observatorium in Italien.
- Am 21.01.2024 um 00:09 Uhr MEZ wird Sar2376 von Peter Birtwhistle als definitiver Impaktor erkannt und sein Eintritt in die Erdatmosphäre für 01:32 Uhr MEZ vorhergesagt. Von Bill Gray werden die voraussichtlichen Koordinaten des Impakts weiter eingegrenzt (N 52.6, E 12.5) und direkt westlich von Berlin (Deutschland) verortet.
- SAR2736 Einschlags-Vorhersage wird um 00:33 Uhr MEZ, eine Stunde vor dem Ereignis, von @gblasco78 auf X/Twitter veröffentlicht und von Denis Vida bestätigt.
- Luca Buzzi, vom G.V. Schiaparelli Astronomical Observatory in Italien, gelingt ein letztes Foto des Asteroiden 2024 BX1/Sar2736 kurz bevor dieser in den Erdschatten eintaucht.
- Der Asteroid dringt um 00:33:36 Uhr Weltzeit, wie vorhergesagt, nur 50 Kilometer westlich von Berlin, in die Atmosphäre ein und verglüht fast vollständig.
Fazit: Für ein solch kurzfristigen astronomisches Ereignisse stellt „Social Media“ ein ganz nützliches Tool dar, wenn man nicht gerade auf diversen Mailinglisten vernetzt ist. Denn viele Sternfreunde werden den angekündigten Feuerball-Boliden am Sonntagmorgen über dem Osten Deutschlands wohl verpasst haben, obwohl es vielerorts klar war. Bis jetzt (9:55 Uhr) ist auch noch kein Sichtungsbericht in den astronomischen Foren der üblichen Verdächtigen (außer im AKM-Forum) erschienen. Für mich stellte die „angekündigte Feuerkugel über Berlin“ auch eine Premiere dar.
Edit: Der kleine Apollo-Typ Asteroid hat nun eine offizielle Nummer von der IAU bekommen: 2024 BX1 (1). Er ist erst der 8. Asteroid, der vor seinem Zusammenstoß mit der Erde entdeckt wurde.
Edit: Auf der Mailingliste AllSky7 wurde jetzt das potentielle Streugebiet für Meteorite, westlich von Berlin, eingegrenzt. Dort gibt es auch weitere Grafiken zur Trajektorie des Impaktors.
Edit: Ein mögliches Streufeld für Meteorite vom Asteroiden 2024 BX1 wurde jetzt in der Nähe von Ribbeck im Westhavelland (Brandenburg) eingegrenzt. Auf einer tschechischen Seite gibt es eine weitere Analyse, die aufgrund besserer Daten das Streufeld etwas nach Nordosten verschiebt. Daniel Fischer hat jetzt in seinem Blog „Skyweek Zwei Punkt Null“ zahlreiche Links zum Ereignis veröffentlicht.
Edit: Offensichtlich wurde ein Meteorit von 2024 BX1 von einer Gruppe polnischer Meteoritensucher gefunden.
Edit: Glücksfall für die Forschung: Die Havelland-Meteorite gehören einer seltenen Klasse an, die als Aubrite klassifiziert werden. Sie enthalten kaum Eisen und gehören der Gruppe der Achondriten an. Hier die Pressemitteilung des DLR in einem Artikel auf Raumfahrer.net.
Weiterführende Links
Bericht im AKM-Forum | Bericht des Autors bei AKM.IMO | Feuerkugelmeldung 423‑2024 | Meldung bei RBB24 | Artikel bei DW | Artikel in der Märkischen Allgemeinen | Artikel in der Süddeutschen | Artikel im Stern | Thread im Astrotreff-Forum | Thread bei Astronomie.de | MPEC 2024-B76 | EarthSky – Small asteroid hits Earth above Germany overnight