Objekte des Monats: Der Intergalaktische Wanderer NGC 2419

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Der Kugel­stern­hau­fen NGC 2419, im süd­west­li­chen Teil des Stern­bilds Luchs (Lynx), wur­de am 31. Dezem­ber 1788 von dem deutsch-bri­ti­schen Astro­no­men Wil­helm Her­schel ent­deckt, der ihn als run­den Licht­fleck ohne Ster­ne beschrieb. Erst der iri­sche Astro­nom Lord Ros­se konn­te den Kugel­stern­hau­fen im Jahr 1850, mit Hil­fe sei­nes 72 Zoll Levia­than-Tele­skops in Birr Cast­le, in ein­zel­ne Ster­ne auf­lö­sen. Auf­grund der gro­ßen Ent­fer­nung zu unse­rer Hei­mat­ga­la­xie, wird NGC 2419 in der astro­no­mi­schen Lite­ra­tur auch als „Der Inter­ga­lak­ti­scher Wan­de­rer“ (Inter­ga­lac­tic Wan­de­rer) bezeich­net. Das Objekt ist eben­falls in Sir Patrick Moo­res Kata­log als Cald­well 25 verzeichnet.

Groß und hell aber sehr weit entfernt

Der Kugel­stern­hau­fen ist mit einer schein­ba­ren Hel­lig­keit von 10,3 mag und einem Win­kel­durch­mes­ser von 4,6 Bogen­mi­nu­ten nur in klei­ne­ren bis mitt­le­ren Tele­sko­pen, knapp 7 Grad nord­nord­öst­lich von Cas­tor – dem zweit­hells­ten Stern im Stern­bild der Zwil­lin­ge – auf­find­bar. Im Ver­gleich zum berühm­ten Her­ku­le­shau­fen Mes­sier 13, erscheint er deut­lich licht­schwä­cher und klei­ner als die­ser. Das ist auch kein Wun­der, denn schließ­lich befin­det sich M 13 unge­fähr 10 Mal näher. Denn die Ent­fer­nung zu unse­rem Son­nen­sys­tem wird mit 275.000 Licht­jah­ren ange­ge­ben. Damit befin­det sich NGC 2419 in gut dop­pel­ter Distanz wie unse­re nächs­te Begleit­ga­la­xie, die Gro­ße Magel­lan­sche Wol­ke am Süd­him­mel und ist noch deut­lich wei­ter ent­fernt als die Klei­ne Magel­lan­sche Wol­ke. Im Gegen­satz zu den meis­ten der 150 Kugel­stern­hau­fen der Milch­stra­ße, befin­det sich der Wan­de­rer, räum­lich gese­hen, in ent­ge­gen­ge­setz­ten Rich­tung zum galak­ti­schen Zen­trum, des­sen Ent­fer­nung von NGC 2419 gut 300.000 Licht­jah­re beträgt. In einem Umkreis von 60 Grad fin­det man auch kei­nen wei­te­ren hel­len Kugel­stern­hau­fen. Denn der über­wie­gen­de Teil die­ser Objek­te kon­zen­trie­ren sich in der Nähe der so genann­ten Bul­ge unse­rer Gala­xie und sind somit über­wie­gend am Som­mer­him­mel in den Stern­bil­dern Schüt­ze, Skor­pi­on und Schlan­gen­trä­ger zu sehen. 

NGC 2419
Der „Inter­ga­lak­ti­sche Wan­de­rer“ im Stern­bild Luchs – Auf­nah­me von Bern­hard Hubl, Quel­le: CCD-Gui­de, Astro­no­mi­scher Arbeits­kreis Salzkammergut

Auf­grund der gro­ßen Ent­fer­nung zum galak­ti­schen Zen­trum und sei­ner exzen­tri­schen Bahn, die ihn weit in den Halo unse­rer Milch­stra­ße bringt, benö­tigt NGC 2419 für einen Umlauf um die Milch­stra­ße mehr als 3 Mil­li­ar­den Jah­re. Wenn NGC 2419 in der sel­ben Ent­fer­nung wie Ome­ga Cen­tau­ri (NGC 5139) ste­hen wür­de, erschie­ne er uns ähn­lich hell und beein­dru­ckend wie die­ser. NGC 2419 gehört mit 900.000 Son­nen­mas­sen, einer abso­lu­ten Hel­lig­keit von ‑9,57 mag und einem wah­ren Durch­mes­ser von 260 Licht­jah­ren auch zu den mas­se­reichs­ten und größ­ten Kugel­stern­hau­fen unse­rer Hei­mat­ga­la­xie. Abso­lut gese­hen ist NGC 2419 sogar der fünf leucht­kräf­tigs­te Kugel­stern­hau­fen unse­rer Gala­xis. Außer­ir­di­sche Beob­ach­ter im Andro­me­da­ne­bel (Mes­sier 31) wür­den NGC 2419 als schein­bar hells­ten Kugel­stern­hau­fen der Milch­stra­ße und nur unwe­sent­lich licht­schwä­cher, als der hells­te Kugel­stern­hau­fen in M 31 beschrei­ben. Auch die­ser Kugel­stern­hau­fen, mit der Bezeich­nung G1 bzw. Mayall-II, befin­det sich weit außer­halb der Schei­be unse­rer Nach­bar­ga­la­xie und rund 170.000 Licht­jah­re vom Zen­trum der Andro­me­da­ga­la­xie entfernt.

HST Aufnahme
Der Kugel­stern­hau­fen NGC 2419 in einer Auf­nah­me des Hub­ble-Welt­raum­te­le­skops – Cre­dit: NASA Hub­ble, CC BY 2.0, via Wiki­me­dia Commons

Nach einer aktu­el­len Stu­die aus dem Jahr 2019 fin­det man im 12,3 Mil­li­ar­den Jah­re alten Kugel­stern­hau­fen zwei sepa­ra­te Popu­la­tio­nen roter Rie­sen­ster­ne. Nor­ma­ler­wei­se ging man immer davon aus, dass die Ster­ne in Kugel­hau­fen alle zur sel­ben Zeit ent­stan­den sind. Eine die­ser Popu­la­tio­nen ist unge­wöhn­lich heli­um­reich und kon­zen­triert sich nahe des Zen­trums. Die­se Popu­la­ti­on macht rund 1/3 der gesam­ten Stern­po­pu­la­ti­on des Hau­fens aus. Auch auch die Metal­li­zi­tät, der Anteil schwe­re­rer Ele­men­te, unter­schei­det sich von den ande­ren Mit­glieds­ster­nen, vor allem bei den Ele­men­ten Stick­stoff, Magne­si­um und Kali­um. Die­se Beob­ach­tung hat Fra­gen auf­ge­wor­fen, wie Kugel­stern­hau­fen über­haupt ent­ste­hen. Womög­lich ist Inter­ga­lak­ti­sche Wan­de­rer, ähn­lich wie Ome­ga Cen­tau­ri, auch der übrig geblie­be­ne Kern einer frü­he­ren Zwerggalaxie.

Geschichtliches

Die genaue Natur des Objekts war lan­ge Zeit unbe­kannt, weil Wil­helm Her­schel den Kugel­hau­fen noch nicht in Ein­zel­ster­ne auf­lö­sen konn­te und einen dif­fu­sen Nebel ver­mu­te­te. Dies gelang, wie bereits wei­ter oben beschrie­ben, erst Wil­liam Par­son, der 3. Earl of Ros­se, der ihn kor­rekt in die Objekt­klas­se der Kugel­stern­hau­fen ein­ord­ne­te. Im Jahr 1922 wur­de die­se Ver­mu­tung schließ­lich end­gül­tig von dem ame­ri­ka­ni­schen Astro­no­men Carl Otto Lam­p­land bestä­tigt. Im sel­ben Jahr gab der ame­ri­ka­ni­sche Astro­nom Har­low Shap­ley die Ent­fer­nung zu NGC 2419 mit 160.000 Licht­jah­ren an. Shap­ley war auch der­je­ni­ge Astro­nom, der NGC 2419 als „The Inter­ga­lac­tic Tramp“ bezeich­ne­te. Er war es auch der her­aus­fand, dass sich die meis­ten Kugel­stern­hau­fen sphä­risch und inner­halb eines Radi­us von 65.000 Licht­jah­ren um das galak­ti­sche Zen­trum kon­zen­trie­ren. Das war der Beweis, dass unser Son­nen­sys­tem sich nicht im Zen­trum der Gala­xis befin­det. Der deut­sche Astro­nom und Astro­phy­si­ker Wal­ter Baa­de, der im Jahr 1935 auf dem Mount Wil­son Obser­va­to­ri­um RR-Lyrae Ster­ne im Stern­hau­fen unter­such­te, erhöh­te die Ent­fer­nung zu NGC 2419 sogar auf 182.000 Licht­jah­re. Die genaue Ent­fer­nung zu ande­ren Gala­xien und die genaue Aus­deh­nung unse­res Milch­stra­ßen­sys­tems war zu die­ser Zeit noch nicht genau bekannt. Man ging des­halb davon aus, dass der Stern­hau­fen nicht gra­vi­ta­tiv an das Milch­stra­ßen­sys­tem gebun­den ist. Erst viel spä­ter wur­de der Wan­de­rer zur Milch­stra­ße zuge­hö­rig anerkannt. 

NGC 2419 Adam Block
NGC 2419 – Auf­nah­me von Adam Block/Mount Lem­mon SkyCenter/University of Ari­zo­na, CC BY-SA 3.0, via Wiki­me­dia Commons 

Neben NGC 2419 gibt es noch wei­te­re Kugel­stern­hau­fen des äuße­ren Halos der Gala­xis, die sich in einer rela­tiv gro­ßen Ent­fer­nung zum Zen­trum befin­den. Dazu gehö­ren Palo­mar 3 (300.000 Lj) und Palo­mar 4 (360.000 Lj) sowie der Kugel­stern­hau­fen Arp-Mado­re 1, der sogar 400.000 Licht­jah­re von der Erde ent­fernt ist. Auch die­se Kugel­hau­fen sind noch gra­vi­ta­tiv an die Milch­stra­ße gebun­den. Auch heu­te ist noch nicht abschlie­ßend geklärt, ob NGC 2419 zusam­men mit der Milch­stra­ße ent­stan­den ist oder ob der Kugel­stern­hau­fen einen extra­ga­lak­ti­schen Ursprung hat und aus einer von der Milch­stra­ße ein­ge­fan­ge­nen Zwerg­ga­la­xie stammt.

Beobachtung

Der Kugel­stern­hau­fen ist unter einem guten Land­him­mel schon indi­rekt mit 4 Zoll Öff­nung erkenn­bar und befin­det sich öst­lich zwei­er Ster­ne der 7. und 8. Grö­ßen­klas­se. Die­se bil­den eine gedach­te Linie mit NGC 2419 und stö­ren bei der Beob­ach­tung. Der west­li­che der bei­den Ster­ne ist ein hüb­scher Dop­pel­stern. Mit 6 bis 8 Zoll Öff­nung und mitt­le­ren Ver­grö­ße­run­gen von 70-fach, erkennt man aller­dings auch nicht viel mehr als einen 2 Bogen­mi­nu­ten gro­ßen kreis­run­den und unschar­fen Licht­fleck. Die­ser erscheint kei­nes­falls stel­lar und kann mit einer leich­ten Hel­lig­keits­zu­nah­me zur Mit­te und unschar­fen Rän­dern auf­war­ten. Mit Tele­sko­pen von 10 bis 12 Zoll Öff­nung erscheint NGC 2419 etwas grö­ßer und hel­ler, mit einem flä­chi­gen Zen­trum, das brei­ter und hel­ler erscheint. Die Rän­der lau­fen dif­fus nach außen hin aus und sind nicht scharf begrenzt. Selbst mit gro­ßen Ama­teur­te­le­sko­pen ab 16 Zoll Öff­nung und hoher Ver­grö­ße­rung sind kei­ner­lei Ein­zel­ster­ne auf­lös­bar, weil die Hel­lig­keit der hells­ten Ster­ne in NGC 2419 nur 17,3 Magni­tu­den beträgt. Der über­wie­gen­de Teil der Ster­ne leuch­ten durch­schnitt­lich mit einer Hel­lig­keit von 20,4 Grö­ßen­klas­sen! Nur die Rän­der erschei­nen leicht gra­nu­liert und sein Zen­trum mit unre­gel­mä­ßi­ger Hel­lig­keit. Erst auf län­ger belich­te­ten Auf­nah­me gibt der Inter­ga­lak­ti­sche Wan­de­rer schließ­lich sei­ne wah­re Natur Preis.

Aufsuchkarte
Auf­such­kar­te für NGC 2419 – erstellt mit SkytechX

Der Kugel­stern­hau­fen ist am bes­ten in den Win­ter­mo­na­ten und im Früh­jahr sicht­bar, wenn das Stern­bild Luchs hoch am Him­mel steht. Um NGC 2419 auf­zu­su­chen, stel­len wir zuerst Cas­tor (Alpha Gem, 1,58 mag) in die Sucher­mit­te ein. Wir schwen­ken das Tele­skop 3,5° in Rich­tung Nor­den, bis zwei Ster­ne der 5. Grö­ßen­klas­se im Gesichts­feld auf­tau­chen. Ver­dop­peln wir die Ent­fer­nung zwi­schen Cas­tor und die­sen bei­den Ster­nen um das 2‑fache, taucht ein wei­te­rer Stern der 6. Grö­ße im Sucher auf. 30 Bogen­mi­nu­ten wei­ter west­lich befin­det sich ein Stern der 7. Grö­ße. Ver­län­gern wir die Ent­fer­nung die­ser Ster­ne um das 1,5‑fache in Rich­tung Nor­den, soll­ten zwei eng bei­ein­an­der lie­gen­de Ster­ne der 7. und 8. Grö­ßen­klas­se im Sucher sicht­bar sein. NGC 2419 befin­det sich direkt öst­lich des hel­le­ren Sterns die­ser Gruppe.

Auf­such­kar­te Inter­ga­lak­ti­sche Wan­de­rer (NGC 2419) (111,1 KiB, 253 hits)

Steckbrief für NGC 2419

Objekt­na­meNGC 2419
Kata­log­be­zeich­nungGCL 12, Cald­well 25
Eigen­na­meInter­ga­lak­ti­scher Wan­de­rer, Inter­ga­lac­tic Wanderer
TypKugel­stern­hau­fen, II
Stern­bildLuchs (Lynx)
Rekt­aszen­si­on (J2000.0)07h 38m 08,5s
Dekli­na­ti­on (J2000.0)+38° 52′ 57″
V Hel­lig­keit10,3 mag
Win­kel­aus­deh­nung4,6′
Durch­mes­ser260 Licht­jah­re
Ent­fer­nung275.000 Licht­jah­re
Beschrei­bungpB,pL,lE 90deg,vgbM,*7–8 267deg,4′ dist; H I 218;Most distant globular;Brightest * 17 mag
Ent­de­ckerWil­helm Her­schel, 1788
Stern­at­lan­tenCam­bridge Star Atlas: Chart 3 & 4
Inter­stel­larum Deep Sky Atlas: Chart 23, 24, 36
Mill­en­ni­um Star Atlas: Charts 107–108 (Vol I)
Pocket Sky Atlas: Chart 22
Sky Atlas 2000: Chart 5
Urano­me­tria 2nd Ed.: Chart 57

Andreas

Andreas Schnabel war bis zum Ende der Astronomie-Zeitschrift "Abenteuer Astronomie" im Jahr 2018 als Kolumnist tätig und schrieb dort über die aktuell sichtbaren Kometen. Er ist Mitglied der "Vereinigung für Sternfreunde e.V.". Neben Astronomie, betreibt der Autor des Blogs auch Fotografie und zeigt diese Bilder u.a. auf Flickr.

Ein Kommentar:

  1. Ein­drück­lich! Bes­ten Dank für den span­nen­den Beitrag.

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