Die Nacht von Freitag, dem 10. Mai, auf Samstag, dem 11. Mai 2024, wird sicherlich vielen Menschen in Erinnerung bleiben. Denn in jener Nacht waren in ganz Deutschland und Europa auch visuell gut sichtbare Polarlichter am Himmel erkennbar, die selbst astronomische Laien zu Begeisterungsstürmen verleitet haben. In sozialen Medien gab es in der Nacht und am darauffolgenden Tag eine regelrechte Flut an Polarlicht-Bildern. Was war geschehen?
Das Sonnenfleckenmaximum
Wir stehen kurz vor dem Sonnenfleckenmaximum des aktuellen Zyklus, der Ende 2024 erwartet wird. Im Durchschnitt treten alle 11 Jahre vermehrt Sonnenflecken und aktive Gebiete auf der Sonne auf. In den Jahren um das Maximum können im Licht der H‑Alpha-Strahlung vermehrt große Protuberanzen am Sonnenrand beobachtet werden. Und auch im Röntgen- und Radiobereich ist unsere Sonne in Zeiten des solaren Maximums deutlich aktiver als im Minimum. Dass die Anzahl der Sonnenflecken über die Zeit schwankt, fiel den Astronomen bereits im 19. Jahrhundert auf.
Deren Anzahl wird regelmäßig von Profiastronomen und auch von Amateurastronomen erfasst. Die Fachgruppe Sonne der deutschlandweiten Vereinigung der Sternfreunde e.V. ermitteln zu diesem Zweck regelmäßig die Relativzahl. Diese werden u.a. beim Solar Influences Data Analysis Centre (SIDC) im belgischen Uccle ausgewertet. Vor allem die Südhemisphäre unseres Zentralgestirns ist momentan deutlich aktiver als die Nördliche. Im aktuellen Sonnenfleckenzyklus wechselt die hohe Aktivität, im Laufe der Monate, mit Phasen etwas geringerer Aktivität. Auch aktuell sind oft tagelang kaum größere Fleckengruppen in der Photosphäre der Sonne zu beobachten.
Der Sonnenfleck AR3664
Nun tauchte in den letzten zwei Wochen ein neues aktives Gebiet auf unserem Zentralgestirns auf, das als AR3664 registriert wurde. Diese Fleckengruppe entwickelte sich sehr schnell zum größten Sonnenfleck des aktuellen Zyklus und des letzten Jahrzehnts. Die Gruppe erreichte am 10. Mai 2024 eine Ausdehnung von 220.000 Kilometer bzw. 15 Erdradien! Dieses Gebiet produzierte in den zurückliegenden Tagen zahlreiche Röntgenausbrüche bis zur stärksten Strahlungsklasse X, die in Richtung Erde gerichtete Koronale Massenauswürfe (CME) produzierten. Und so wurde schon bald spekuliert, dass beim Eintreffen der Wolke aus geladenen Teilchen, pünktlich zum Wochenende, es zu einer erhöhten Aktivität von Polarlichter bis in mittleren Breiten kommen könnte.
Den Sonnenfleck AR3664 konnte ich am 9. Mai mit bloßem Auge beobachten. Mit Hilfe einer im astronomischen Fachhandel erhältlichen Sonnenfinsternisbrille erkannte man sehr deutlich einen dunklen länglichen Fleck. Schon sehr bald verbreitete einige Medien, dass es sich hierbei um den größten Fleck seit dem Carrington Ereignis* handeln könnte. Allerdings war der weniger berühmte Sonnenfleck AR2192, vom Oktober 2014, in seinem Erscheinungsbild sogar noch etwas größer und für das bloße Auge auffälliger.
Das Eintreffen der Teilchenwolke
Das Eintreffen der Teilchenwolke des ersten CME wurde für Samstagmorgen vorausgesagt. Vor allem sollten Region in Nordamerika einen Logenplatz erhalten. Es wurde ein schwerer geomagnetischer Sturm der Stärke G4 vorhergesagt, mit einem Kp-Wert von mindestens 8. Es kam aber anders. Denn die Wolke aus geladenen Teilchen, vor allem Protonen (Wasserstoffkerne) und Elektronen, traf bereits am frühen Abend auf die ACE-Raumsonde der NASA und schließlich auch auf das Erdmagnetfeld. Nun rechnete man mit einem großen Ausbruch von Polarlichtern am Morgen des 11. Mai, kurz nach Mitternacht. Es wurde ein schwerer Geomagnetischer Sturm der maximalen Stärke G5 prognostiziert, der gut sichtbare Polarlichter bis weit in die mittleren geographischen Breiten unseres Planeten bringen sollte.
Und tatsächlich, das Erdmagnetfeld war bereits kurz vor 20 Uhr sehr weit nach Süden gerichtet. Die Magnetometer zeigten Werte um ‑45 nT an. Es wurde ein Kp-Wert von 8 registriert. Optimale Voraussetzungen für helle Polarlichter im deutschsprachigen Raum. Leider war zu diesem Zeitpunkt die Sonne in Deutschland noch nicht untergegangen. Ich verfasste eine Polarlichtwarnung in unseren WhatsApp-Gruppen der „HTT-Südkurve“ und „NLC & PolarWarn“. So waren meine Astrokollegen wenigstens vorgewarnt, bei guten Sichtbedingungen die Augen offen und die Kamera griffbereit zu halten. Denn ich hatte leider keine Zeit, da ich in dieser Nacht Dienst schieben musste.
Erste Polarlichtaktivität vor Mitternacht
Als ich gegen 21:15 Uhr das Haus verließ und zu meinem Nachtdienst in die Firma fuhr, war der Himmel hier in Lübben zu 98% mit Wolken verhangen. Auch der Wetterbericht sagte eher eine wolkige bis bedeckte Nacht voraus. Aus diesem Grund hatte ich weniger Hoffnung überhaupt etwas zu sehen. In meiner Firma angekommen schaute ich gegen 22:15 Uhr noch mal in unserer WhatsApp-Gruppe nach, wo Mirko ein erstes Handyfoto einer roten Aurora Borealis in die Gruppe stellte, das in der Nähe von Chemnitz aufgenommen wurde. Ich stieg aus dem Auto aus und konnte selbst auf den von Lampen erhellten Firmenparkplatz über den Bäumen einen rötlichen Schimmer zwischen einzelnen Wolkenlücken wahrnehmen. Die Sichtung konnte auch Uwe aus Chemnitz bestätigen der seine Begeisterung kaum zurückhalten konnte: „Absoluter Hammer, absoluter Hammer, bis fast 45° bis 50° Höhe, irre!“
In der Raucherhütte traf ich auf einige meiner Kollegen, die ich auf das gut sichtbare Polarlicht in Richtung Norden aufmerksam machte. Aus diesem Grund kam ich ca. 10 Minuten später zum Dienst. Bis Mitternacht schaute ich ab und zu auf die DWD-Wettercam in Falkenberg, die einen sehr guten Blick in Richtung Nordosten gestattete. Diese Webcam ist auch der erste Anlaufpunkt für mich für die in den Sommermonaten sichtbaren Leuchtenden Nachtwolken. Die Kamera des Deutschen Wetterdienstes in Lindenberg ist auf einem 99 Meter hohen Funkturm der Bundeswehrkaserne aus Storkow befestigt. Der Himmel war die ganze Zeit rötlich aufgehellt. Zum Horizont zeigte sich ein deutlich sichtbarer grünlicher Schimmer. In der Zwischenzeit trafen auch immer mehr Bilder in unserer WhatsApp-Gruppe ein, die zum Teil nur mit dem Smartphone aufgenommen wurden.
Nach dieser ersten begeisternden Hochphase nahm die Polarlichtaktivität langsam ab und steigerte sich kurz vor Mitternacht wieder. In einer Pause, als ich vor dem Eingang unserer Firma in Bad Saarow stand, konnte ich einen deutlich visuellen grünen Schimmer oberhalb der Bäume in Richtung Norden wahrnehmen. In Richtung Osten, nahe den Sternbildern Schwan und Leier, zeigten sich ein rötlicher Saum bis in ca. 60° Höhe. Leider war meine Sicht durch Gebäude und Bäume etwas eingeschränkt. Nun nahm ich einzelne schwächere Beamer war, die sich über den Zeitraum überraschend schnell in ihrer Position und Richtung änderten. Sie erstreckten sich bis hinauf in den Zenit. Auf den Wettercams im Alpenraum waren die zum Teil noch schneebedeckten Berge in einer eigentümlichen pinken Farbe getaucht. Diese wurden von dem Himmelsleuchten des Polarlichts eingefärbt, fantastisch!
Die Aurora Borealis nach Mitternacht
Nach einem weiteren Plateau nahm die Aurora-Aktivität kurz vor Mitternacht wieder zu und erreichte ihren Höhepunkt gegen 0:30 Uhr MESZ. Nun waren die Beamer, selbst aus der Innenstadt heraus, kaum zu übersehen. Auch hier schwankte die Helligkeit und Position sehr stark. Sah man genauer hin, erkannte man rötliche Vorhänge am Himmel und einen grünlichen Schimmer in Horizontnähe. In Richtung Zenit zeigten sich eine Art Korona aus mehren tangential verlaufenden Strahlen die ebenfalls, mehr oder weniger schnell, ihre Position und Helligkeit wechselten. Zum Teil sah der Himmel so aus, als trübten hohe Zirrusbewölkung das Licht der Sterne. Zu diesem Zeitpunkt waren die troposphärischen Wolken fast verschwunden. Die Stellen des Himmels, die die Sicht auf die Sterne trübten, war das Polarlicht!
Zu diesem Zeitpunkt wünschte ich mir, selbst mit meiner DSLR auf dem Feld an einem dunklen Ort in Südbrandenburg zu stehen und dieses faszinierende Naturschauspiel auf mich wirken zu lassen. Nach dieser Show nahm Aktivität wieder etwas ab. Auch die Bewölkung nahm wieder zu. Gegen 3 Uhr morgens war der Himmel fast komplett mit Wolken verhangen. Auf der DWD-Wettercam in Falkenberg sah man, dass die Wolken durch die Polarlichtaktivität nach wie vor in einen rötlichen Schimmer getaucht waren. Die Aurora Boeralis war, fotografisch wie auch visuell, noch bis in die Morgendämmerung hinein nachweisbar. So endete eine Frühlingsnacht mit 7 Stunden Polarlichtaktivität. Und auch für viele Laien, vorausgesetzt der Himmel war nicht von Wolken verhangen, war dieses Naturschauspiel einfach unvergesslich.
Fazit
Obwohl ich in dieser Nacht Dienst schieben musste, werde ich den stärksten Polarlichtausbruch über Europa seit 21 Jahren nicht vergessen. Denn zum berühmten „Halloween-Polarlicht“ im Jahr 2003, lag ich zu diesem Zeitpunkt bereits in den warmen Federn und verpasste die Show. Als in Deutschland der Morgen hineinbrach, war in Nordamerika der Geomagnetische Sturm noch lange nicht vorbei. Farbenfrohe Polarlichter waren bis in die subtropische Breiten Floridas und Mexikos zu sehen.
Und selbst in Namibia, am südlichen Wendekreis des Steinbockes, war die Aurora Australis in Richtung Südhorizont nachweisbar. Es war der stärkste geomagnetische Sturm seit über 20 Jahren. Dieser wurde nur vom Halloween-Sonnensturm und dem Sturm des Jahres 1989, der die Stromnetze in Quebec (Kanada) lahmlegte, übertroffen. Der Sturm erreichte mit einem Wert von ‑237nT fast Supersturm-Niveau. Das GFZ in Potsdam verzeichnete einen Kp-Wert von sage und schreibe 11!
Und die Polarlichtaktivität ist noch lange nicht vorbei. In der Nacht von Samstag auf Sonntag wird ein weiterer schwerer Geomagnetischer Sturm der Klasse G4 bis G5 erwartet. Es besteht sogar die Möglichkeit, dass dieser Sturm deutlich stärker ausfallen könnte und somit zum stärksten Polarlicht-Ereignis der letzten 35 Jahre werden könnte! Weitere CME von der aktiven Region AR3664 sollen in den kommenden Tagen ebenfalls die Erde erreichen.
*Das Carrington-Ereignis im Jahr 1859 verursachte den bisher größten wissenschaftlich beobachteten magnetischen Sturm auf der Erde. Unter anderen hatte ihn der damals bekannte Sonnenforscher Richard Christopher Carrington beobachtet. Damals waren sogar in Rom, Havanna und auf Hawaii Polarlichter zu sehen, die normalerweise nur in höheren Breiten auftreten. Eisbohrkernuntersuchungen zeigen, dass ein Ereignis dieser Stärke im statistischen Mittel alle 500 Jahre auf der Erde vorkommt. Auslöser sind Ausbrüche der Sonnenoberfläche, die weit häufiger auftreten, meistens aber nicht die Erde treffen. Quelle: Wikipedia
Weiterführende Links:
Astrofan80.de – Spaceweather | Polarlicht-Vorhersage für Deutschland | Thread im Astrotreff-Forum | Thread im Astronomie.de Forum | Thread im AKM-Forum | Skyweek Zwei Punkt Null