Nacht der Polarlichter

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Am 10. Okto­ber 2024 war es end­lich wie­der soweit. Die bis zu 800 km/s schnel­len Pro­to­nen des direkt auf die Erde gerich­te­ten koro­na­len Mas­sen­aus­wurfs (CME), der durch einen X1.8 Fla­re in der Son­nen­fle­cken­grup­pe AR3848 am 9. Okto­ber um 2 Uhr mor­gens Welt­zeit aus­ge­löst wur­de, erreich­ten die ACE-Son­de am Lang­ran­ge­punkt L1 gegen 14 Uhr UT. Es wur­den Teil­chen­dich­ten von 2x10^6 und ein Bz-Wert von ‑335 nT regis­triert. Wie von der NOAA fast auf die Stun­de genau vor­her­ge­sagt, beein­fluss­ten die Pro­to­nen unser Erd­ma­gnet­feld sehr stark und erzeug­ten einen star­ken geo­ma­gne­ti­schen Sturm der Klas­se G4 (Kp8). Da die Wet­ter­aus­sich­ten für Süd­bran­den­burg vor allem in der 1. Nacht­hälf­te eher mäßig waren, ent­schloss ich mich im Lau­fe des Abends nach Nor­den auf­zu­bre­chen, um der Wol­ken­sup­pe zu ent­kom­men. Eine gute Ent­schei­dung, wie sich her­aus­stel­len soll­te. Und das Bes­te: Ich hat­te in die­ser Nacht der Polar­lich­ter end­lich mal Dienstfrei…

Flare SOHO
Auf­nah­men der Son­nen­son­de SOHO die den X1.8 Fla­res und einen Full Halo CME am 9.10.2024 zei­gen. Im LASCO C3 Bild von SOHO ist der Komet C/2023 A3 (Tsuch­inshan-ATLAS) zu erkennen.

Wolken über dem Spreewald

Nach­dem ich noch ein­mal die Wol­ken­vor­her­sa­ge auf meteo.pl über­prüft hat­te, berei­te­te ich mich nach dem Abend­essen auf die Polar­licht­jagd vor. Mit von der Par­tie waren 2 Kame­ras und 2 Sta­ti­ve: Canon EOS 6D mit dem 24–105 mm Kit-Objek­tiv und Canon EOS 100D mit dem Irix 15 mm Weit­win­kel. Als ers­ten Stand­ort wähl­te ich Trep­pen­dorf, wo ich hoff­te, das Polar­licht, das bereits nach Son­nen­un­ter­gang zwi­schen ein­zel­nen Wol­ken­lü­cken zu sehen war, zu erwi­schen. Und tat­säch­lich hat­te ich Glück, denn kurz vor 20 Uhr taten sich eini­ge Wol­ken­lü­cken auf.

Polarlicht Treppendorf
Polar­licht des 1. Substorms über Trep­pen­dorf am 10. Okto­ber 2024, 18:18 Uhr UT

Mit blo­ßem Auge konn­te ich einen auf­ge­hell­ten Hori­zont wahr­neh­men, der sich spä­ter auf dem Foto als hel­ler grü­ner Vor­hang ent­pupp­te. Genau in nörd­li­cher Rich­tung war über­ra­schend ein­fach ein röt­li­cher Schim­mer unter­halb des Gro­ßen Wagens zu erken­nen, Bin­go. Bemer­kens­wert war, dass sich auch die tro­po­sphä­ri­schen Wol­ken in einem unge­wöhn­li­chen Hell­grün prä­sen­tier­ten. Mein 1. Polar­licht­fo­to habe ich sogleich als Beweis­fo­to in unse­rer Whats­App-Grup­pe gepos­tet. Die meis­ten Mit­glie­der der HTT-Süd­kur­ve hat­ten zu die­sem Zeit­punkt lei­der auch mit den Wol­ken zu kämp­fen und sahen nichts. Kurz dar­auf rief ich mei­nen alten Astro­freund Horst Lind­berg an, um auch ihn auf die Polar­licht­ak­ti­vi­tät auf­merk­sam zu machen. Die Wol­ken wur­den wie­der dich­ter und bedeck­ten den Him­mel in Rich­tung Nor­den nun voll­stän­dig. Kurz dar­auf mach­te ich mich auf den Weg zu mei­nem Beob­ach­tungs­platz in Radensdorf.

Polarlicht Wolken
Bewölk­ter Him­mel über Raden­s­dorf am 10. Okto­ber 2024, 19:00 Uhr UT

Vor­her mach­te ich noch einen Abste­cher nach Hau­se, um mir bes­se­res Schuh­werk und wär­me­re Klei­dung zu besor­gen. Denn ich war mir sicher, dass es noch eine lan­ge Nacht wer­den wür­de. Auf dem Weg zum Auto war selbst aus der Stadt her­aus ein roter Vor­hang zu sehen, teil­wei­se hin­ter dich­te­ren Wol­ken ver­steckt. Der 1. Substorm war in vol­lem Gan­ge und soll­te von 19:40 Uhr bis 21:00 Uhr dau­ern. Nun bemerk­te ich, dass ich für mei­ne Fahrt Rich­tung Nor­den doch etwas wenig Ben­zin im Tank hat­te. Also stat­te­te ich der Tank­stel­le in Lüb­ben einen Besuch ab. In Raden­s­dorf ange­kom­men, war der Him­mel lei­der kom­plett zuge­zo­gen. Hin­ter den weni­gen Wol­ken­lü­cken war ein extrem hel­ler grau­er bis grün­li­cher Schim­mer zu erken­nen. Ein Blick auf Sat24 mit dem aktu­el­len Satel­li­ten­bild zeig­te eini­ge Wol­ken­lü­cken nörd­lich mei­ner Posi­ti­on. Also Kame­ra zurück ins Auto. Mit durch­dre­hen­den Rädern fuhr ich los.

Polarlichter über der Scharmützelseeregion

Ich fuhr auf der B87 in Rich­tung Bees­kow und bog dann auf die Land­stra­ße nach Witt­manns­dorf ab. Die Wol­ken locker­ten unter­wegs etwas auf und so hoff­te ich, einen geeig­ne­ten dunk­len Stand­ort zu fin­den. Die­sen fand ich schließ­lich gegen 21:30 Uhr zwi­schen Kos­sen­blatt und Gie­sen­sdorf. Die Wol­ken waren kom­plett ver­schwun­den. Nur in Rich­tung Süden zeig­ten sich eini­ge Wol­ken­fel­der in Hori­zont­nä­he. Ich hielt auf einem Feld­weg direkt neben der Land­stra­ße und bau­te mein Ber­le­bach-Holz­sta­tiv auf. Plötz­lich hat­te ich ein Bein in der Hand. So ein Mist. Ein Glied war aus der Ver­an­ke­rung gerutscht. Als ich die Sta­tiv­klem­me unter­such­te, stell­te ich fest, dass sie leicht ver­bo­gen war, so dass der Stop­per sei­ne Funk­ti­on nicht mehr erfül­len konn­te. Also muss­te ich mein Sta­tiv mit­ten im Gelän­de repa­rie­ren. Mit dem Kreuz­schlitz­schrau­ben­zie­her an mei­nem Schwei­zer Offi­ziers­mes­ser war das in 10 Minu­ten erledigt.

Aurora Pano 1
Polar­licht kurz vor dem 2. Substorm in Gie­sen­sdorf bei Tau­che am 10. Okto­ber 2024, 20:14 Uhr UT

Der gesam­te Nord­him­mel war bis zu einer Höhe von etwa 20 Grad von einem grau­en Vor­hang über­deckt. Und das war tat­säch­lich der grü­ne Vor­hang, den ich schon im Spree­wald zwi­schen den Wol­ken­lü­cken erah­nen konn­te. Dar­über leuch­tet der Him­mel röt­lich bis in den Zenit, was aber nur auf der Kame­ra zu erken­nen war. Bemer­kens­wert: In Rich­tung des Stern­bil­des Fuhr­mann stand fast die gan­ze Zeit eine abge­run­de­te röt­lich leuch­ten­de Pyra­mi­de. Die­se war mit blo­ßem Auge gut zu erken­nen. Kurz nach 22:00 Uhr nahm die Polar­licht­ak­ti­vi­tät rapi­de zu. Ein­zel­ne Strea­mer zeig­ten sich im Stern­bild Gro­ßer Bär. Ab und zu war in Rich­tung Zenit ein mil­chi­ger Strei­fen oder Schim­mer zu sehen, der das Som­mer­drei­eck mit der Milch­stra­ße in ein trü­bes Licht tauch­te. Und das waren kei­ne Zir­rus­wol­ken, son­dern der geo­ma­gne­ti­sche Sturm über Mitteleuropa!

Aurora Pano 2
Polar­licht kurz vor Ende des 2. Substorm in Gie­sen­sdorf bei Tau­che am 10. Okto­ber 2024, 21:03 Uhr UT

Von jetzt auf gleich nahm die Polar­licht­ak­ti­vi­tät rasant zu. Über­all waren zunächst ein­zel­ne hel­le Strea­mer zu sehen, die sich dyna­misch bis in den Zenit aus­dehn­ten. Ein extrem hel­les Band zog sich ent­lang der Milch­stra­ße bis zum Nord­west­ho­ri­zont her­ab. Der gesam­te Nord­him­mel bis über den Zenit war nun voll in das Polar­licht getaucht. Auch mit dem unbe­waff­ne­ten Auge konn­te man die Far­ben der ein­zel­e­nen Strea­mer wahr­neh­men: von grau, grün bis rot, vio­lett. Es gab hel­le, wabern­de Vor­hän­ge, die eine grü­ne Far­be zeig­ten. Die Belich­tungs­zeit muss­te ich deut­lich nach unten kor­ri­gie­ren. Denn der 2. Substorm zwi­schen 22:20 Uhr und 23:00 Uhr war sehr dyna­misch und extrem hell. Inner­halb weni­ger Sekun­den tauch­ten neue Strea­mer auf, die sich in Rich­tung Zenit erstreck­ten und sogleich wie­der ver­schwan­den, um neu­en Struk­tu­ren Platz zu machen. Die Dyna­mik der Auro­ra über Bran­den­burg erin­ner­te mich an die Polar­licht­fil­me aus dem hohen Norden.

Ich tele­fo­nier­te mit mei­ner lie­ben Kol­le­gin, die Nacht­dienst hat­te, und schil­der­te ihr mit unglaub­li­chem Stau­nen, was sich am Him­mel abspiel­te. So muss das Polar­licht am 10. Mai 2024 von dunk­len Stand­or­ten aus aus­ge­se­hen haben, wo ich damals Nacht­dienst hat­te. Falls sie Zeit hät­te, soll­te sie nach drau­ßen gehen und die Auro­ra eben­falls bestaunen.

Am Yachthafen

Der Substorm ließ wie­der nach und nach­dem ich die Kame­ra­aus­rüs­tung ver­staut hat­te, fuhr ich kurz nach 23 Uhr nach Diens­dorf-Rad­low. Dort woll­te ich mich direkt am Ufer des Yacht­ha­fens am Schar­müt­zel­see posi­tio­nie­ren und auf einen mög­li­chen wei­te­ren Substorm war­ten. Vor Ort merk­te ich, wie sich die Käl­te und die Feuch­tig­keit der Nacht immer mehr aus­brei­te­te. Durch das nas­se Gras war es unan­ge­nehm kalt an den Füßen, so dass das War­ten auf den Substorm lang­sam zur Qual wur­de. Die in der Zwi­schen­zeit gemach­ten Auf­nah­men vom See­ufer zeig­ten immer noch den deut­lich sicht­ba­ren grau­grü­nen Bogen, der den gesam­ten nörd­li­chen Hori­zont ein­nahm. Die Polar­licht­ak­ti­vi­tät nahm gegen 0:40 Uhr wie­der zu und es zeig­ten sich grü­ne, wabern­de Vorhänge.

Aurora Pano 3
Polar­licht vor dem 3. Substorm in Diens­dorf-Rad­low am Schar­müt­zel­see am 10. Okto­ber 2024, 22:25 Uhr UT

Gegen 1 Uhr mor­gens ging es dann Schlag auf Schlag. Zuerst waren in nord­west­li­cher Rich­tung sehr hel­le Strah­len zu sehen, die im Zenit rund­um zusam­men­tra­fen. Ein unge­wöhn­lich hel­ler roter Strei­fen stand minu­ten­lang fast unbe­weg­lich über dem See­ufer. Rich­tung Nord­os­ten war der Him­mel eben­falls in ein leich­tes Rot getaucht. Die Dyna­mik des Polar­lichts nahm immer mehr zu und erreich­te gegen 1:40 Uhr schließ­lich ihren Höhe­punkt, mit stän­dig dyna­mi­schen Streamern. 

Pünkt­lich zum Höhe­punkt des 3. Substorm, der zwi­schen 1 Uhr und 2 Uhr andau­ern soll­te, beschlug die Lin­se mei­nes Objek­tivs, so dass ich gezwun­gen war, eine Heiz­man­schet­te anzu­le­gen, um sie wie­der von der Feuch­tig­keit zu befrei­en. Die Auro­ra Boer­a­lis war hell bis extrem hell und zeig­te auch visu­ell ver­schie­de­ne Far­ben, obwohl ich mich nicht an einem rich­tig dunk­len Ort befand. Der Him­mel leuch­te­te regel­recht dyna­misch in allen Him­mels­rich­tun­gen. Von Nord über West bis Süd konn­te man Bea­mer sehen, die auf­tauch­ten und wie­der ver­schwan­den. Wirk­lich beeindruckend…

Aurora Pano 3
Polar­licht wäh­rend des 3. Substorm in Diens­dorf-Rad­low am Schar­müt­zel­see am 10. Okto­ber 2024, 23:45 Uhr UT

Ausklang und Fazit

Nach­dem sich der 3. Substorm kurz vor 2 Uhr am Abklin­gen war, fuhr ich doch noch zur mei­ner Fir­ma, da ich hoff­te, zusam­men mit mei­ner Kol­le­gin einen mög­li­chen 4. Aus­bruch zu sehen, den wir gemein­sam beob­ach­ten woll­ten. Außer­dem woll­te ich mir hier die gemach­ten Polar­licht­auf­nah­men anse­hen. Lei­der ver­quatsch­ten wir uns, so dass wir den Höhe­punkt des 4. Peak gegen 4 Uhr mor­gens ver­pass­ten. Auch hier gab es inten­si­ves hel­les Polar­licht mit allen Far­ben. Auf­grund der hel­len Lich­ter in der Umge­bung und der ein­ge­schränk­ten Sicht in Rich­tung Nor­den haben wir sowie­so nichts gese­hen. Auf der Web­cam des DWD in Lin­den­berg hin­ge­gen war das Polar­licht die gan­ze Zeit bis 5 Uhr aktiv. Kurz nach 6 Uhr mor­gens bin ich dann wie­der zu Hau­se ange­kom­men und sehr müde, aber zufrie­den ins Bett gefallen.

Das Polar­licht in der Nacht vom 10. auf den 11. Okto­ber 2024 hat vie­le Beob­ach­ter in ganz Euro­pa und dar­über hin­aus begeis­tert. Vie­le waren der Mei­nung, dass die­ser Son­nen­sturm inten­si­ver, aber nicht so abwechs­lungs­reich war wie der in der Nacht vom 10. auf den 11. Mai 2024. Auch in Nord­ame­ri­ka begeis­ter­te der star­ke geo­ma­gne­ti­sche Sturm Him­mels­be­ob­ach­ter. Es gab sogar foto­gra­fi­sche Sich­tun­gen bis an die Süd­spit­ze Kubas.

Das Maxi­mum des aktu­el­len 25. Son­nen­zy­klus wird im Novem­ber oder Dezem­ber die­sen Jah­res erwar­tet. Aber auch eini­ge Jah­re nach dem Maxi­mum kön­nen star­ke Son­nen­stür­me auf­tre­ten. So fand der berühm­te Hal­lo­ween-Sturm von 2003, den ich regel­recht ver­schla­fen habe, etwa drei Jah­re nach dem Maxi­mum statt. Für mich war es übri­gens das ers­te Mal, dass ich hier in Deutsch­land hel­le Polar­lich­ter so inten­siv wahr­neh­men und foto­gra­fisch doku­men­tie­ren konn­te. In den kom­men­den Mona­ten kön­nen wir sicher noch eini­ge Über­ra­schun­gen von unse­rem Zen­tral­ge­stirn erwarten.

Weiterführende Links

Polar­licht-Thread im AKM-Forum | Polar­licht-Thread im Astro­treff-Forum | Thread bei Astronomie.de | Polar­licht-Vor­her­sa­ge | Frank­fur­ter Rund­schau – Erneu­tes Far­ben­spiel am Him­mel | Rhei­ni­sche Post – Natur­spek­ta­kel am Don­ners­tag­abend | Tagesschau.de – Polar­lich­ter fär­ben Him­mel über Ber­lin und Brandenburg

Andreas

Andreas Schnabel war bis zum Ende der Astronomie-Zeitschrift "Abenteuer Astronomie" im Jahr 2018 als Kolumnist tätig und schrieb dort über die aktuell sichtbaren Kometen. Er ist Mitglied der "Vereinigung für Sternfreunde e.V.". Neben Astronomie, betreibt der Autor des Blogs auch Fotografie und zeigt diese Bilder u.a. auf Flickr.

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