Am 10. Oktober 2024 war es endlich wieder soweit. Die bis zu 800 km/s schnellen Protonen des direkt auf die Erde gerichteten koronalen Massenauswurfs (CME), der durch einen X1.8 Flare in der Sonnenfleckengruppe AR3848 am 9. Oktober um 2 Uhr morgens Weltzeit ausgelöst wurde, erreichten die ACE-Sonde am Langrangepunkt L1 gegen 14 Uhr UT. Es wurden Teilchendichten von 2x10^6 und ein Bz-Wert von ‑335 nT registriert. Wie von der NOAA fast auf die Stunde genau vorhergesagt, beeinflussten die Protonen unser Erdmagnetfeld sehr stark und erzeugten einen starken geomagnetischen Sturm der Klasse G4 (Kp8). Da die Wetteraussichten für Südbrandenburg vor allem in der 1. Nachthälfte eher mäßig waren, entschloss ich mich im Laufe des Abends nach Norden aufzubrechen, um der Wolkensuppe zu entkommen. Eine gute Entscheidung, wie sich herausstellen sollte. Und das Beste: Ich hatte in dieser Nacht der Polarlichter endlich mal Dienstfrei…
Wolken über dem Spreewald
Nachdem ich noch einmal die Wolkenvorhersage auf meteo.pl überprüft hatte, bereitete ich mich nach dem Abendessen auf die Polarlichtjagd vor. Mit von der Partie waren 2 Kameras und 2 Stative: Canon EOS 6D mit dem 24–105 mm Kit-Objektiv und Canon EOS 100D mit dem Irix 15 mm Weitwinkel. Als ersten Standort wählte ich Treppendorf, wo ich hoffte, das Polarlicht, das bereits nach Sonnenuntergang zwischen einzelnen Wolkenlücken zu sehen war, zu erwischen. Und tatsächlich hatte ich Glück, denn kurz vor 20 Uhr taten sich einige Wolkenlücken auf.
Mit bloßem Auge konnte ich einen aufgehellten Horizont wahrnehmen, der sich später auf dem Foto als heller grüner Vorhang entpuppte. Genau in nördlicher Richtung war überraschend einfach ein rötlicher Schimmer unterhalb des Großen Wagens zu erkennen, Bingo. Bemerkenswert war, dass sich auch die troposphärischen Wolken in einem ungewöhnlichen Hellgrün präsentierten. Mein 1. Polarlichtfoto habe ich sogleich als Beweisfoto in unserer WhatsApp-Gruppe gepostet. Die meisten Mitglieder der HTT-Südkurve hatten zu diesem Zeitpunkt leider auch mit den Wolken zu kämpfen und sahen nichts. Kurz darauf rief ich meinen alten Astrofreund Horst Lindberg an, um auch ihn auf die Polarlichtaktivität aufmerksam zu machen. Die Wolken wurden wieder dichter und bedeckten den Himmel in Richtung Norden nun vollständig. Kurz darauf machte ich mich auf den Weg zu meinem Beobachtungsplatz in Radensdorf.
Vorher machte ich noch einen Abstecher nach Hause, um mir besseres Schuhwerk und wärmere Kleidung zu besorgen. Denn ich war mir sicher, dass es noch eine lange Nacht werden würde. Auf dem Weg zum Auto war selbst aus der Stadt heraus ein roter Vorhang zu sehen, teilweise hinter dichteren Wolken versteckt. Der 1. Substorm war in vollem Gange und sollte von 19:40 Uhr bis 21:00 Uhr dauern. Nun bemerkte ich, dass ich für meine Fahrt Richtung Norden doch etwas wenig Benzin im Tank hatte. Also stattete ich der Tankstelle in Lübben einen Besuch ab. In Radensdorf angekommen, war der Himmel leider komplett zugezogen. Hinter den wenigen Wolkenlücken war ein extrem heller grauer bis grünlicher Schimmer zu erkennen. Ein Blick auf Sat24 mit dem aktuellen Satellitenbild zeigte einige Wolkenlücken nördlich meiner Position. Also Kamera zurück ins Auto. Mit durchdrehenden Rädern fuhr ich los.
Polarlichter über der Scharmützelseeregion
Ich fuhr auf der B87 in Richtung Beeskow und bog dann auf die Landstraße nach Wittmannsdorf ab. Die Wolken lockerten unterwegs etwas auf und so hoffte ich, einen geeigneten dunklen Standort zu finden. Diesen fand ich schließlich gegen 21:30 Uhr zwischen Kossenblatt und Giesensdorf. Die Wolken waren komplett verschwunden. Nur in Richtung Süden zeigten sich einige Wolkenfelder in Horizontnähe. Ich hielt auf einem Feldweg direkt neben der Landstraße und baute mein Berlebach-Holzstativ auf. Plötzlich hatte ich ein Bein in der Hand. So ein Mist. Ein Glied war aus der Verankerung gerutscht. Als ich die Stativklemme untersuchte, stellte ich fest, dass sie leicht verbogen war, so dass der Stopper seine Funktion nicht mehr erfüllen konnte. Also musste ich mein Stativ mitten im Gelände reparieren. Mit dem Kreuzschlitzschraubenzieher an meinem Schweizer Offiziersmesser war das in 10 Minuten erledigt.
Der gesamte Nordhimmel war bis zu einer Höhe von etwa 20 Grad von einem grauen Vorhang überdeckt. Und das war tatsächlich der grüne Vorhang, den ich schon im Spreewald zwischen den Wolkenlücken erahnen konnte. Darüber leuchtet der Himmel rötlich bis in den Zenit, was aber nur auf der Kamera zu erkennen war. Bemerkenswert: In Richtung des Sternbildes Fuhrmann stand fast die ganze Zeit eine abgerundete rötlich leuchtende Pyramide. Diese war mit bloßem Auge gut zu erkennen. Kurz nach 22:00 Uhr nahm die Polarlichtaktivität rapide zu. Einzelne Streamer zeigten sich im Sternbild Großer Bär. Ab und zu war in Richtung Zenit ein milchiger Streifen oder Schimmer zu sehen, der das Sommerdreieck mit der Milchstraße in ein trübes Licht tauchte. Und das waren keine Zirruswolken, sondern der geomagnetische Sturm über Mitteleuropa!
Von jetzt auf gleich nahm die Polarlichtaktivität rasant zu. Überall waren zunächst einzelne helle Streamer zu sehen, die sich dynamisch bis in den Zenit ausdehnten. Ein extrem helles Band zog sich entlang der Milchstraße bis zum Nordwesthorizont herab. Der gesamte Nordhimmel bis über den Zenit war nun voll in das Polarlicht getaucht. Auch mit dem unbewaffneten Auge konnte man die Farben der einzelenen Streamer wahrnehmen: von grau, grün bis rot, violett. Es gab helle, wabernde Vorhänge, die eine grüne Farbe zeigten. Die Belichtungszeit musste ich deutlich nach unten korrigieren. Denn der 2. Substorm zwischen 22:20 Uhr und 23:00 Uhr war sehr dynamisch und extrem hell. Innerhalb weniger Sekunden tauchten neue Streamer auf, die sich in Richtung Zenit erstreckten und sogleich wieder verschwanden, um neuen Strukturen Platz zu machen. Die Dynamik der Aurora über Brandenburg erinnerte mich an die Polarlichtfilme aus dem hohen Norden.
Ich telefonierte mit meiner lieben Kollegin, die Nachtdienst hatte, und schilderte ihr mit unglaublichem Staunen, was sich am Himmel abspielte. So muss das Polarlicht am 10. Mai 2024 von dunklen Standorten aus ausgesehen haben, wo ich damals Nachtdienst hatte. Falls sie Zeit hätte, sollte sie nach draußen gehen und die Aurora ebenfalls bestaunen.
Am Yachthafen
Der Substorm ließ wieder nach und nachdem ich die Kameraausrüstung verstaut hatte, fuhr ich kurz nach 23 Uhr nach Diensdorf-Radlow. Dort wollte ich mich direkt am Ufer des Yachthafens am Scharmützelsee positionieren und auf einen möglichen weiteren Substorm warten. Vor Ort merkte ich, wie sich die Kälte und die Feuchtigkeit der Nacht immer mehr ausbreitete. Durch das nasse Gras war es unangenehm kalt an den Füßen, so dass das Warten auf den Substorm langsam zur Qual wurde. Die in der Zwischenzeit gemachten Aufnahmen vom Seeufer zeigten immer noch den deutlich sichtbaren graugrünen Bogen, der den gesamten nördlichen Horizont einnahm. Die Polarlichtaktivität nahm gegen 0:40 Uhr wieder zu und es zeigten sich grüne, wabernde Vorhänge.
Gegen 1 Uhr morgens ging es dann Schlag auf Schlag. Zuerst waren in nordwestlicher Richtung sehr helle Strahlen zu sehen, die im Zenit rundum zusammentrafen. Ein ungewöhnlich heller roter Streifen stand minutenlang fast unbeweglich über dem Seeufer. Richtung Nordosten war der Himmel ebenfalls in ein leichtes Rot getaucht. Die Dynamik des Polarlichts nahm immer mehr zu und erreichte gegen 1:40 Uhr schließlich ihren Höhepunkt, mit ständig dynamischen Streamern.
Pünktlich zum Höhepunkt des 3. Substorm, der zwischen 1 Uhr und 2 Uhr andauern sollte, beschlug die Linse meines Objektivs, so dass ich gezwungen war, eine Heizmanschette anzulegen, um sie wieder von der Feuchtigkeit zu befreien. Die Aurora Boeralis war hell bis extrem hell und zeigte auch visuell verschiedene Farben, obwohl ich mich nicht an einem richtig dunklen Ort befand. Der Himmel leuchtete regelrecht dynamisch in allen Himmelsrichtungen. Von Nord über West bis Süd konnte man Beamer sehen, die auftauchten und wieder verschwanden. Wirklich beeindruckend…
Ausklang und Fazit
Nachdem sich der 3. Substorm kurz vor 2 Uhr am Abklingen war, fuhr ich doch noch zur meiner Firma, da ich hoffte, zusammen mit meiner Kollegin einen möglichen 4. Ausbruch zu sehen, den wir gemeinsam beobachten wollten. Außerdem wollte ich mir hier die gemachten Polarlichtaufnahmen ansehen. Leider verquatschten wir uns, so dass wir den Höhepunkt des 4. Peak gegen 4 Uhr morgens verpassten. Auch hier gab es intensives helles Polarlicht mit allen Farben. Aufgrund der hellen Lichter in der Umgebung und der eingeschränkten Sicht in Richtung Norden haben wir sowieso nichts gesehen. Auf der Webcam des DWD in Lindenberg hingegen war das Polarlicht die ganze Zeit bis 5 Uhr aktiv. Kurz nach 6 Uhr morgens bin ich dann wieder zu Hause angekommen und sehr müde, aber zufrieden ins Bett gefallen.
Das Polarlicht in der Nacht vom 10. auf den 11. Oktober 2024 hat viele Beobachter in ganz Europa und darüber hinaus begeistert. Viele waren der Meinung, dass dieser Sonnensturm intensiver, aber nicht so abwechslungsreich war wie der in der Nacht vom 10. auf den 11. Mai 2024. Auch in Nordamerika begeisterte der starke geomagnetische Sturm Himmelsbeobachter. Es gab sogar fotografische Sichtungen bis an die Südspitze Kubas.
Das Maximum des aktuellen 25. Sonnenzyklus wird im November oder Dezember diesen Jahres erwartet. Aber auch einige Jahre nach dem Maximum können starke Sonnenstürme auftreten. So fand der berühmte Halloween-Sturm von 2003, den ich regelrecht verschlafen habe, etwa drei Jahre nach dem Maximum statt. Für mich war es übrigens das erste Mal, dass ich hier in Deutschland helle Polarlichter so intensiv wahrnehmen und fotografisch dokumentieren konnte. In den kommenden Monaten können wir sicher noch einige Überraschungen von unserem Zentralgestirn erwarten.
Weiterführende Links
Polarlicht-Thread im AKM-Forum | Polarlicht-Thread im Astrotreff-Forum | Thread bei Astronomie.de | Polarlicht-Vorhersage | Frankfurter Rundschau – Erneutes Farbenspiel am Himmel | Rheinische Post – Naturspektakel am Donnerstagabend | Tagesschau.de – Polarlichter färben Himmel über Berlin und Brandenburg