Planetenbildende Scheiben um sehr massearme Sterne sind anders

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Eine For­schungs­grup­pe mit Betei­li­gung des MPIA unter­such­te mit dem Welt­raum­te­le­skop James Webb eine pla­ne­ten­bil­den­de Schei­be um einen jun­gen und sehr mas­se­ar­men Stern. Die Ergeb­nis­se zei­gen die bis­lang reich­hal­tigs­te che­mi­sche Zusam­men­set­zung aus Koh­len­was­ser­stof­fen in einer pro­to­pla­ne­ta­ren Schei­be, ein­schließ­lich des ers­ten Nach­wei­ses von Ethan außer­halb des Son­nen­sys­tems und einer rela­tiv gerin­gen Häu­fig­keit von sau­er­stoff­hal­ti­gen Ver­bin­dun­gen. Zusam­men mit frü­he­ren Ent­de­ckun­gen ergibt sich ein Trend, dass sich die Schei­ben um sehr mas­se­ar­me Ster­ne che­misch von denen um mas­se­rei­che­re Ster­ne wie die Son­ne unter­schei­den, was sich auf die Atmo­sphä­ren der dort ent­ste­hen­den Pla­ne­ten auswirkt.

Künst­le­ri­sche Dar­stel­lung einer proto­planetaren Schei­be um einen sehr mas­se­ar­men Stern Sie beinhal­tet eine Aus­wahl von Kohlen­wasser­stoff­mole­külen (Methan, CH4; Ethan, C2H6; Ethen, C2H2; Diace­tylen, C4H2; Pro­pin, C3H4; Ben­zol, C6H6), die in der Schei­be um ISO-ChaI 147 nach­ge­wie­sen wur­den. © ALMA (ESO/NAOJ/NRAO) / MPIA

Pla­ne­ten ent­ste­hen in Schei­ben aus Gas und Staub, die jun­ge Ster­ne umge­ben. Der MIRI Mid-INfrared Disk Sur­vey (MINDS) unter der Lei­tung von Tho­mas Hen­ning vom Max-Planck-Insti­tut für Astro­no­mie (MPIA) in Hei­del­berg ver­folgt das Ziel, eine reprä­sen­ta­ti­ve Stich­pro­be von Schei­ben zu erstel­len. Durch die Erfor­schung ihrer che­mi­schen und phy­si­ka­li­schen Eigen­schaf­ten mit MIRI (Mid INfrared Instru­ment) an Bord des Welt­raum­te­le­skops James Webb (JWST) stellt die Grup­pe eine Ver­bin­dung zwi­schen die­sen Schei­ben und den Eigen­schaf­ten der Pla­ne­ten her, die sich dort mög­li­cher­wei­se bil­den. In einer neu­en Stu­die unter­such­te ein For­schungs­team die Umge­bung eines sehr mas­se­ar­men Sterns von 0,11 Son­nen­mas­sen (bekannt als ISO-ChaI 147), des­sen Ergeb­nis­se in der Zeit­schrift Sci­ence ver­öf­fent­licht wurden.

JWST ermöglicht neue Einblicke in die chemische Zusammensetzung planetenbildender Scheiben

„Die­se Beob­ach­tun­gen sind von der Erde aus nicht mög­lich, da die rele­van­ten Gas­emis­sio­nen durch die Atmo­sphä­re abge­schirmt wer­den“, erklärt Haupt­au­to­rin Adi­tya Arab­ha­vi von der Uni­ver­si­tät Gro­nin­gen in den Nie­der­lan­den. „Bis­her konn­ten wir von die­sem Objekt nur die Strah­lung von Ethin-Mole­kü­len (C2H2) nach­wei­sen. Die höhe­re Emp­find­lich­keit von JWST und die spek­tra­le Auf­lö­sung sei­ner Instru­men­te ermög­lich­ten es uns jedoch, schwa­che Signa­le von weni­ger häu­fig vor­kom­men­den Mole­kü­len zu erkennen.“

Die MINDS-Grup­pe fand Gas mit Tem­pe­ra­tu­ren um 300 Kel­vin (ca. 30 Grad Cel­si­us), das stark mit koh­len­stoff­hal­ti­gen Mole­kü­len ange­rei­chert ist, aber kei­ne sau­er­stoff­rei­chen Stof­fe ent­hält. „Das unter­schei­det sich grund­le­gend von der Zusam­men­set­zung, die wir in Schei­ben um son­nen­ähn­li­che Ster­ne sehen, wo sau­er­stoff­hal­ti­ge Mole­kü­le wie Was­ser und Koh­len­di­oxid domi­nie­ren“, fügt Inga Kamp von der Uni­ver­si­tät Gro­nin­gen hinzu.

Ein ein­drucks­vol­les Bei­spiel für eine sau­er­stoff­rei­che Schei­be ist die von PDS 70, wo das MINDS-Pro­gramm kürz­lich gro­ße Men­gen an Was­ser­dampf gefun­den hat. Aus frü­he­ren Beob­ach­tun­gen schlie­ßen die Astro­nom­in­nen und Astro­no­men, dass sich Schei­ben um sehr mas­se­ar­me Ster­ne anders ent­wi­ckeln als sol­che um mas­se­rei­che­re Ster­ne wie die Son­ne, was sich mög­li­cher­wei­se auf das Auf­spü­ren von Gesteins­pla­ne­ten mit erd­ähn­li­chen Eigen­schaf­ten aus­wirkt. Da die Umge­bun­gen in sol­chen Schei­ben die Bedin­gun­gen für die Bil­dung neu­er Pla­ne­ten vor­ge­ben, könn­te ein sol­cher Pla­net zwar aus Gestein sein, sich aber in ande­ren Aspek­ten von der Erde deut­lich unterscheiden.

Was bedeutet das für Gesteinsplaneten, die sehr massearme Sterne umkreisen?

Die Men­ge des Mate­ri­als und sei­ne Ver­tei­lung inner­halb die­ser Schei­ben begrenzt die Anzahl und Grö­ße der Pla­ne­ten, die die Schei­be mit dem not­wen­di­gen Mate­ri­al ver­sor­gen kann. Folg­lich deu­ten Beob­ach­tun­gen dar­auf hin, dass sich in den Schei­ben um sehr mas­se­ar­me Ster­ne, den häu­figs­ten Ster­nen im Uni­ver­sum, Gesteins­pla­ne­ten mit erd­ähn­li­chen Grö­ßen effi­zi­en­ter bil­den als jupi­ter­ähn­li­che Gas­rie­sen. Daher beher­ber­gen die mas­se­ärms­ten Ster­ne bei Wei­tem die meis­ten ter­res­tri­schen Planeten.

„Die ursprüng­li­chen Atmo­sphä­ren die­ser Pla­ne­ten wer­den wahr­schein­lich von Koh­len­was­ser­stoff­ver­bin­dun­gen domi­niert und nicht so sehr von sau­er­stoff­rei­chen Gasen wie Was­ser­dampf und Koh­len­di­oxid“, so Tho­mas Hen­ning. „Wir haben in einer frü­he­ren Stu­die gezeigt, dass der Trans­port von koh­len­stoff­rei­chem Gas in die Zone, in der sich nor­ma­ler­wei­se Gesteins­pla­ne­ten bil­den, in die­sen Schei­ben schnel­ler und effi­zi­en­ter erfolgt als in denen mas­se­rei­che­rer Sterne.“

Obwohl es klar zu sein scheint, dass Schei­ben um sehr mas­se­ar­me Ster­ne mehr Koh­len­stoff als Sau­er­stoff ent­hal­ten, ist der Mecha­nis­mus, der zu die­sem Ungleich­ge­wicht führt, noch unbe­kannt. Die Zusam­men­set­zung der Schei­be ist ent­we­der das Ergeb­nis einer Anrei­che­rung von Koh­len­stoff oder einer Ver­ar­mung von Sau­er­stoff. Wenn der Koh­len­stoff ange­rei­chert ist, liegt die Ursa­che wahr­schein­lich in fes­ten Par­ti­keln in der Schei­be, deren Koh­len­stoff ver­dampft und in die gas­för­mi­ge Kom­po­nen­te der Schei­be frei­ge­setzt wird. Die Staub­kör­ner, die ihren ursprüng­li­chen Koh­len­stoff ver­lo­ren haben, bil­den schließ­lich fes­te Pla­ne­ten­kör­per. Die­se Pla­ne­ten wären koh­len­stoff­arm, genau wie die Erde. Den­noch wür­de die auf Koh­len­stoff basie­ren­de Che­mie wahr­schein­lich zumin­dest ihre ursprüng­li­chen Atmo­sphä­ren domi­nie­ren, die durch Schei­ben­gas gespeist wer­den. Daher bie­ten Ster­ne mit sehr gerin­ger Mas­se mög­li­cher­wei­se nicht die bes­ten Vor­aus­set­zun­gen, um erd­ähn­li­che Pla­ne­ten zu finden.

JWST entdeckt eine Fülle von organischen Molekülen

Inter­ak­ti­ves Spek­trum: Fol­gen Sie dem Link, um zu erkun­den, wel­che che­mi­schen Signa­tu­ren zusam­men­ge­nom­men das gemes­se­ne Spek­trum der Schei­be um den sehr mas­se­ar­men Stern ISO-ChaI 147 erge­ben. Sie kön­nen ein­zel­ne Mole­kü­le hin­zu­fü­gen und ent­fer­nen, um ihren Ein­fluss auf das Spek­trum zu ent­de­cken. mehr

Um die Gase der Schei­be zu iden­ti­fi­zie­ren, nutz­te das Team den MIRI-Spek­tro­gra­fen, um die von der Schei­be emp­fan­ge­ne Infra­rot­strah­lung in Signa­tu­ren klei­ner Wel­len­län­gen­be­rei­che zu zer­le­gen – ähn­lich wie sich das Son­nen­licht in einem Regen­bo­gen auf­spal­tet. Auf die­se Wei­se arbei­te­te das Team eine Fül­le von Spu­ren her­aus, die ein­zel­nen Mole­kü­len zuge­ord­net wer­den können.

Das Ergeb­nis ist, dass die beob­ach­te­te Schei­be die reich­hal­tigs­te Koh­len­was­ser­stoff­che­mie ent­hält, die bis­her in einer pro­to­pla­ne­ta­ren Schei­be beob­ach­tet wur­de, bestehend aus 13 koh­len­stoff­hal­ti­gen Mole­kü­len bis zu Ben­zol (C6H6). Dar­un­ter befin­det sich auch der ers­te Nach­weis von extra­so­la­rem Ethan (C2H6), dem größ­ten voll­stän­dig gesät­tig­ten Koh­len­was­ser­stoff, der außer­halb des Son­nen­sys­tems ent­deckt wur­de. Außer­dem gelang es dem Team, Ethen (C2H4), Pro­pin (C3H4) und das Methyl­ra­di­kal CH3 zum ers­ten Mal in einer pro­to­pla­ne­ta­ren Schei­be nach­zu­wei­sen. Dage­gen zeig­ten die Daten kei­nen Hin­weis auf Was­ser oder Koh­len­mon­oxid in der Scheibe.

Den Blick auf Scheiben um sehr massearme Sterne schärfen

Als Nächs­tes will das Wis­sen­schafts­team sei­ne Stu­die auf eine grö­ße­re Stich­pro­be sol­cher Schei­ben um sehr mas­se­ar­me Ster­ne aus­wei­ten, um bes­ser zu ver­ste­hen, wie häu­fig sol­che exo­ti­schen, koh­len­stoff­rei­chen Regio­nen sind, in denen sich ter­res­tri­sche Pla­ne­ten bil­den. „Durch die Aus­wei­tung unse­rer Stu­die wer­den wir bes­ser ver­ste­hen, wie sich die­se Mole­kü­le bil­den kön­nen“, erklärt Tho­mas Hen­ning. „Zudem fin­den wir in den Webb-Daten meh­re­re Merk­ma­le, die wir bis­lang kei­nen che­mi­schen Ver­bin­dun­gen zuord­nen kön­nen. Daher ist zusätz­li­che Spek­tro­sko­pie erfor­der­lich, um unse­re Beob­ach­tun­gen voll­stän­dig zu verstehen.“

MN

Hintergrundinformationen

Die Stu­die wur­de im Rah­men des ERC Advan­ced Grant „Ori­g­ins – From Pla­net-Forming Disks to Giant Pla­nets“ finan­ziert (Grant ID: 832428, For­schungs­lei­ter: Tho­mas Hen­ning, DOI: 10.3030/832428).

Die an die­ser Stu­die betei­lig­te For­schungs­team des MPIA besteht aus Tho­mas Hen­ning, Mat­thi­as Sam­land, Giu­lia Perot­ti, Jero­en Bouw­man, Sil­via Scheit­hau­er, Ric­car­do Fran­ce­schi, Jür­gen Schrei­ber und Kam­ber Schwartz.

Wei­te­re For­schen­de sind Adi­tya Arab­ha­vi (Uni­ver­si­tät Gro­nin­gen, Nie­der­lan­de [Gro­nin­gen]), Inga Kamp (Gro­nin­gen), Ewi­ne van Dis­hoeck (Uni­ver­si­tät Lei­den, Nie­der­lan­de und Max-Planck-Insti­tut für extra­ter­res­tri­sche Phy­sik, Gar­ching, Deutsch­land), Valen­tin Chris­tiaens (Uni­ver­si­tät Lüt­tich, Bel­gi­en) und Agnes Per­rin (Labo­ra­toire de Météo­ro­lo­gie Dynamique/IPSL CNRS, Palai­se­au, Frankreich)

Das MIRI-Kon­sor­ti­um besteht aus den ESA-Mit­glied­staa­ten Bel­gi­en, Däne­mark, Deutsch­land, Frank­reich, Irland, den Nie­der­lan­den, Spa­ni­en, Schwe­den, der Schweiz und dem Ver­ei­nig­ten König­reich. Die natio­na­len Wis­sen­schafts­or­ga­ni­sa­tio­nen finan­zie­ren die Arbeit des Kon­sor­ti­ums – in Deutsch­land die Max-Planck-Gesell­schaft (MPG) und das Deut­sche Zen­trum für Luft- und Raum­fahrt (DLR). Die betei­lig­ten deut­schen Insti­tu­tio­nen sind das Max-Planck-Insti­tut für Astro­no­mie in Hei­del­berg, die Uni­ver­si­tät Köln und die Hen­soldt AG in Ober­ko­chen, ehe­mals Carl Zeiss Optronics.

Das JWST ist das welt­weit füh­ren­de welt­raum­ge­stütz­te wis­sen­schaft­li­che Obser­va­to­ri­um. Es ist ein inter­na­tio­na­les Pro­gramm, das von der NASA gemein­sam mit ihren Part­nern, der ESA (Euro­päi­sche Welt­raum­or­ga­ni­sa­ti­on) und der CSA (Kana­di­sche Welt­raum­or­ga­ni­sa­ti­on), gelei­tet wird.

A. M. Arab­ha­vi, I. Kamp, Th. Hen­ning, E. F. van Dis­hoeck, V. Chris­tiaens, et al. – Abun­dant hydro­car­bons in the disk around a very-low-mass star Sci­ence (2024)

Link zur MPIA-Pres­se­mit­tei­lung

Andreas

Andreas Schnabel war bis zum Ende der Astronomie-Zeitschrift "Abenteuer Astronomie" im Jahr 2018 als Kolumnist tätig und schrieb dort über die aktuell sichtbaren Kometen. Er ist Mitglied der "Vereinigung für Sternfreunde e.V.". Neben Astronomie, betreibt der Autor des Blogs auch Fotografie und zeigt diese Bilder u.a. auf Flickr.

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