Webb enthüllt verborgene Details in jungen Sternensystemen

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Pla­ne­ten bil­den­de Schei­ben, Stru­del aus Gas und Staub, die um jun­ge Ster­ne wir­beln, sind Brut­stät­ten, aus denen Pla­ne­ten­sys­te­me wie unser Son­nen­sys­tem ent­ste­hen. Astro­no­men haben neue Details über Gas­strö­me ent­deckt, die die­se Schei­ben im Lau­fe der Zeit for­men und gestal­ten. Die beob­ach­te­te ver­schach­tel­te Struk­tur die­ser Strö­me bestä­tigt einen seit Lan­gem theo­re­tisch ange­nom­me­nen Mecha­nis­mus, der es dem Stern ermög­licht, durch das Abzap­fen von Schei­ben­ma­te­ri­al zu wachsen.

Jede Sekun­de wer­den im sicht­ba­ren Uni­ver­sum mehr als 3.000 Ster­ne gebo­ren. Vie­le sind von etwas umge­ben, das Astro­no­men eine pro­to­pla­ne­ta­re Schei­be nen­nen – eine wir­beln­de „Schei­be“ aus hei­ßem Gas und Staub, die das Wachs­tum des Zen­tral­sterns för­dert und die Bau­stei­ne für neue Pla­ne­ten lie­fert. Die genau­en Pro­zes­se, die zur Ent­ste­hung von Ster­nen und Pla­ne­ten­sys­te­men füh­ren, sind jedoch noch immer kaum verstanden.

protoplanetare Scheibe
Die­se künst­le­ri­sche Dar­stel­lung einer pla­ne­ten­bil­den­den Schei­be, die einen jun­gen Stern umgibt, zeigt einen wir­beln­den „Pfann­ku­chen“ aus hei­ßem Gas und Staub, aus dem Pla­ne­ten ent­ste­hen. – © Natio­nal Astro­no­mic­al Obser­va­to­ry of Japan (NAOJ)

JWST nimmt Scheibenwinde unter die Lupe

Ein Team von Astro­nom­in­nen und Astro­no­men unter der Lei­tung von For­schern der Uni­ver­si­ty of Ari­zo­na, unter­stützt von Wis­sen­schaft­lern des Max-Planck-Insti­tuts für Astro­no­mie (MPIA) in Hei­del­berg, nutz­te das James Webb Space Telescope (JWST), um eini­ge der detail­lier­tes­ten Ein­bli­cke in die Kräf­te zu erhal­ten, die pro­to­pla­ne­ta­re Schei­ben for­men. Die Beob­ach­tun­gen geben Auf­schluss dar­über, wie unser Son­nen­sys­tem vor 4,6 Mil­li­ar­den Jah­ren aus­ge­se­hen haben könnte.

Ins­be­son­de­re konn­te das Team soge­nann­te Schei­ben­win­de in noch nie dage­we­se­nem Detail­reich­tum nach­zeich­nen. Die­se Win­de sind Gas­strö­me, die von der pla­ne­ten­bil­den­den Schei­be in den Welt­raum hin­aus­bla­sen. Sie wer­den haupt­säch­lich durch Magnet­fel­der ange­trie­ben und kön­nen sich in nur einer Sekun­de über Dut­zen­de Kilo­me­ter aus­brei­ten. Die in Natu­re Astro­no­my ver­öf­fent­lich­ten Ergeb­nis­se des For­schungs­teams hel­fen Astro­no­men, bes­ser zu ver­ste­hen, wie jun­ge Pla­ne­ten­sys­te­me ent­ste­hen und sich entwickeln.

Laut der Haupt­au­to­rin des Arti­kels, Ila­ria Pas­cuc­ci, Pro­fes­so­rin am Lunar and Pla­ne­ta­ry Labo­ra­to­ry der Uni­ver­si­ty of Ari­zo­na, ist einer der wich­tigs­ten Pro­zes­se, die in einer pro­to­pla­ne­ta­ren Schei­be ablau­fen, wenn der Stern Mate­rie aus sei­ner umge­ben­den Schei­be ver­schlingt, was in der Astro­no­mie als Akkre­ti­on bezeich­net wird.

„Wie ein Stern Mas­se ansam­melt, hat einen gro­ßen Ein­fluss dar­auf, wie sich die umge­ben­de Schei­be im Lau­fe der Zeit ent­wi­ckelt, ein­schließ­lich der Art und Wei­se, wie sich spä­ter Pla­ne­ten bil­den“, so Pas­cuc­ci. „Die genau­en Mecha­nis­men, die dabei zum Tra­gen kom­men, sind bis­lang nicht ver­stan­den, aber wir glau­ben, dass Win­de, die von Magnet­fel­dern über den größ­ten Teil der Schei­ben­ober­flä­che ange­trie­ben wer­den, eine essen­zi­el­le Rol­le spie­len könnten.“

Magnetisierte Scheibenwinde fördern das Wachstum von Sternen

Jun­ge Ster­ne wach­sen, indem sie Gas aus der umge­ben­den Schei­be anzie­hen, aber damit dies gesche­hen kann, muss das Gas zunächst einen Teil sei­ner Wider­stands­fä­hig­keit gegen Geschwin­dig­keits­än­de­run­gen ver­lie­ren. Andern­falls wür­de das Gas den Stern stän­dig umkrei­sen und nie­mals auf ihn her­un­ter­fal­len. In der Astro­phy­sik wird die­ser Pro­zess als „Ver­lust des Dreh­im­pul­ses“ bezeich­net, aber wie genau dies geschieht, ist schwer zu bestimmen.

Um bes­ser zu ver­ste­hen, wie der Dreh­im­puls in einer pro­to­pla­ne­ta­ren Schei­be funk­tio­niert, hilft es, sich eine Eis­kunst­läu­fe­rin auf dem Eis vor­zu­stel­len: Wenn sie ihre Arme an den Kör­per anlegt, dreht sie sich schnel­ler, wäh­rend sie ihre Rota­ti­on ver­lang­samt, wenn sie die Arme aus­streckt. Da sich ihre Mas­se nicht ändert, bleibt der Dreh­im­puls gleich.

Damit Akkre­ti­on statt­fin­det, muss Gas über die Schei­be hin­weg den Dreh­im­puls ver­lie­ren. Den­noch kön­nen sich Astro­phy­si­ke­rin­nen und ‑phy­si­ker der­zeit nicht eini­gen, wie genau dies geschieht. In den letz­ten Jah­ren haben sich magne­tisch ange­trie­be­ne Schei­ben­win­de als wesent­li­che Akteu­re her­aus­ge­stellt, die Gas von der Schei­ben­ober­flä­che weg­lei­ten – und damit auch den Dreh­im­puls – und es dem übrig geblie­be­nen Gas ermög­li­chen, lang­sa­mer zu wer­den, sich nach innen zu bewe­gen und schließ­lich auf den Stern zu fallen.

Wie man zwischen Windmechanismen unterscheidet

Da auch ande­re Pro­zes­se die pro­to­pla­ne­ta­ren Schei­ben for­men, ist es laut Tra­cy Beck, der zwei­ten Autorin des Arti­kels vom Space Telescope Sci­ence Insti­tu­te der NASA, von ent­schei­den­der Bedeu­tung, zwi­schen den ver­schie­de­nen Phä­no­me­nen unter­schei­den zu können.

Wäh­rend das Magnet­feld des Sterns Mate­ri­al am inne­ren Rand der Schei­be in einem als X‑Wind bezeich­ne­ten Phä­no­men nach außen drückt, wer­den die äuße­ren Tei­le der Schei­be durch inten­si­ves Ster­nen­licht abge­tra­gen, was zu soge­nann­ten ther­mi­schen Win­den führt, die mit viel gerin­ge­ren Geschwin­dig­kei­ten wehen. Die hohe Emp­find­lich­keit und Auf­lö­sung des JWST waren ide­al geeig­net, um zwi­schen dem magnet­feld­ge­trie­be­nen Wind, dem ther­mi­schen Wind und dem X‑Wind zu unterscheiden.

Ein ent­schei­den­des Merk­mal, das die magne­tisch ange­trie­be­nen von den X‑Winden unter­schei­det, ist, dass sie sich wei­ter außen befin­den und sich über grö­ße­re Regio­nen erstre­cken, ein­schließ­lich der Zone mit den inne­ren Gesteins­pla­ne­ten unse­res Son­nen­sys­tems – etwa zwi­schen Erde und Mars. Die­se Win­de erstre­cken sich auch wei­ter ober­halb der Schei­be als ther­mi­sche Win­de und errei­chen die hun­dert­fa­che Ent­fer­nung zwi­schen Erde und Sonne.

„Wir hat­ten bereits anhand inter­fe­ro­me­tri­scher Beob­ach­tun­gen im Radio­wel­len­län­gen­be­reich Hin­wei­se auf einen sol­chen Wind gefun­den“, betont der MPIA-Astro­nom Dmit­ry Seme­nov. Er ist auch Mit­au­tor der zugrun­de­lie­gen­den Stu­die. Die­se Beob­ach­tun­gen konn­ten jedoch nicht die gesam­te Struk­tur des Schei­ben­winds unter­su­chen, geschwei­ge denn detail­liert abbil­den. Ins­be­son­de­re die ver­schach­tel­te Struk­tur der ver­schie­de­nen Wind­kom­po­nen­ten, ein Kenn­zei­chen die­ser Schei­ben­win­de, lag außer­halb der Mög­lich­kei­ten der Beob­ach­tun­gen. Im Gegen­satz dazu haben die neu­en JWST-Beob­ach­tun­gen die­se Struk­tur zwei­fels­frei auf­ge­deckt. Die beob­ach­te­te Mor­pho­lo­gie ent­spricht den Erwar­tun­gen an einen magne­tisch ange­trie­be­nen Scheibenwind.

„Unse­re Beob­ach­tun­gen deu­ten stark dar­auf hin, dass wir die ers­ten detail­lier­ten Bil­der der Win­de erhal­ten haben, die den Dreh­im­puls abfüh­ren und das seit Lan­gem bestehen­de Pro­blem der Ent­ste­hung von Ster­nen und Pla­ne­ten­sys­te­men lösen kön­nen“, sagt Pascucci.

Für ihre Stu­die wähl­ten die For­scher vier pro­to­pla­ne­ta­re Schei­ben­sys­te­me aus, die von der Erde aus alle von der Sei­te betrach­tet wer­den. Durch ihre Aus­rich­tung konn­ten Staub und Gas in der Schei­be als Blen­de fun­gie­ren und einen Teil des Lichts des hel­len Zen­tral­sterns abschwä­chen, das sonst die Win­de über­strahlt hätte.

JWSTs NIRSpec macht verschachtelte Windstruktur sichtbar

Das Team konn­te die ver­schie­de­nen Wind­schich­ten nach­ver­fol­gen, indem es den NIR­Spec-Detek­tor von JWST auf unter­schied­li­che Ato­me und Mole­kü­le in bestimm­ten Über­gangs­zu­stän­den abstimm­te. NIR­Spec ist der hoch­auf­lö­sen­de Nahin­fra­rot-Spek­tro­graf des JWST. Die Astro­no­men erhiel­ten räum­lich auf­ge­lös­te Spek­tral­in­for­ma­tio­nen über das gesam­te Sicht­feld, indem sie die Inte­gral Field Unit (IFU) des Spek­tro­gra­fen ver­wen­de­ten, die im Wesent­li­chen ein Ras­ter ist, das bestimm­te Posi­tio­nen am Him­mel betrach­tet. Auf die­se Wei­se gene­rier­ten die For­schen­den Bil­der bei ver­schie­de­nen cha­rak­te­ris­ti­schen Wel­len­län­gen, die jeweils ver­gleichs­wei­se grob, aber den­noch gut genug waren, um die Form zu erkennen.

Gas­jet- und Wind­struk­tur des Pro­tos­terns HH 30 – © I. Pas­cuc­ci et al. / MPIA

Beob­ach­te­te Gas­jet- und Wind­struk­tur des Pro­tos­terns HH 30, mit Abstän­den in astro­no­mi­schen Ein­hei­ten (au), dem mitt­le­ren Abstand zwi­schen Son­ne und Erde. Die Far­ben zei­gen Beob­ach­tun­gen ver­schie­de­ner Gas­kom­po­nen­ten, die bei unter­schied­li­chen Wel­len­län­gen nach­ge­wie­sen wur­den. Die blau­en, grü­nen und grau­en Far­ben ste­hen für mit dem JWST gemach­te Ent­de­ckun­gen. Sie zei­gen ioni­sier­tes Eisen (blau), mole­ku­la­ren Was­ser­stoff (grün) und Koh­len­mon­oxid (graue Linie). Daten von einer Beob­ach­tung des Koh­len­mon­oxid­mo­le­küls, die mit dem boden­ge­stütz­ten ALMA-Radio­in­ter­fe­ro­me­ter durch­ge­führt wur­de, ist rot wie­der­ge­ge­ben. Die ver­schach­tel­te Struk­tur ist sicht­bar und erstreckt sich über einen wei­ten Bereich in der Schei­be­ne­be­ne, die auf einen ver­ti­ka­len Ver­satz von null ein­ge­stellt ist. Die Pixel zei­gen den räum­li­chen Abstand der NIR­Spec-IFU an. 

Die Beob­ach­tun­gen offen­bar­ten eine kom­ple­xe, drei­di­men­sio­na­le Struk­tur eines zen­tra­len Jets, der in einer kegel­för­mi­gen Hül­le aus Win­den ein­ge­bet­tet ist, die aus immer grö­ße­ren Abstän­den in der Schei­be stam­men, ähn­lich einer Zwie­bel­scha­len­struk­tur. Laut den For­schen­den war eine wich­ti­ge neue Erkennt­nis der sich wie­der­ho­len­de Befund eines aus­ge­präg­ten zen­tra­len Lochs in den Kegeln, das durch mole­ku­la­re Win­de in jeder der vier Schei­ben gebil­det wird.

Als Nächs­tes möch­te das Team um Pas­cuc­ci die­se Beob­ach­tun­gen auf wei­te­re pro­to­pla­ne­ta­re Schei­ben aus­wei­ten, um bes­ser zu ver­ste­hen, wie häu­fig die beob­ach­te­ten Schei­ben­wind­struk­tu­ren im Uni­ver­sum vor­kom­men und wie sie sich entwickeln.

„Wir glau­ben, dass sie weit­ver­brei­tet sein könn­ten, aber bei vier Objek­ten ist das schwer zu sagen“, erläu­tert Pas­cuc­ci. „Wir wol­len mit dem JWST eine grö­ße­re Stich­pro­be erhal­ten und dann auch sehen, ob wir Ver­än­de­run­gen in die­sen Win­den fest­stel­len kön­nen, wenn sich Ster­ne bil­den und Pla­ne­ten entstehen.“

Hintergrundinformationen

Die an die­ser Stu­die betei­lig­te MPIA-Team besteht aus Dmit­ry Seme­nov und Kam­ber Schwarz.

Wei­te­re Mit­glie­der des For­schungs­teams sind Ila­ria Pas­cuc­ci (Lunar and Pla­ne­ta­ry Labo­ra­to­ry, Uni­ver­si­ty of Ari­zo­na, Tuc­son, USA [UofA], Stu­di­en­lei­tung), Tra­cy L. Beck (Space Telescope Sci­ence Insti­tu­te, Bal­ti­more, USA), Syl­vie Cabrit (Obser­va­toire de Paris, LERMA, CNRS, Paris, Frank­reich) und Naman S. Bajaj (UofA).

NIR­Spec ist Teil des Bei­trags der Euro­päi­schen Welt­raum­or­ga­ni­sa­ti­on (ESA) zur Webb-Mis­si­on, das von einem Kon­sor­ti­um euro­päi­scher Unter­neh­men unter der Lei­tung von Air­bus Defence and Space (ADS) gebaut wur­de. Das God­dard Space Flight Cen­ter der NASA stell­te zwei Teil­sys­te­me (Detek­to­ren und Mikro­blen­den) zur Ver­fü­gung. Das MPIA war für die Beschaf­fung der elek­tri­schen Kom­po­nen­ten der NIR­Spec-Git­ter­rä­der verantwortlich.

JWST ist das welt­weit füh­ren­de Obser­va­to­ri­um für Welt­raum­for­schung. Es han­delt sich um ein inter­na­tio­na­les Pro­gramm, das von der NASA gemein­sam mit ihren Part­nern ESA (Euro­päi­sche Welt­raum­or­ga­ni­sa­ti­on) und CSA (Kana­di­sche Welt­raum­agen­tur) gelei­tet wird.

Die Finan­zie­rung die­ser Arbeit wur­de von der NASA und dem Euro­päi­schen For­schungs­rat bereitgestellt.

Die­ser Text basiert weit­ge­hend auf einer von Dani­el Stol­te ver­fass­ten Pres­se­mit­tei­lung der Uni­ver­si­ty of Arizona.

MN/DS

Links

Pres­se­mit­tei­lung der Uni­ver­si­ty of Arizona

Link zur MPIA-Pres­se­mit­tei­lung

Andreas

Andreas Schnabel war bis zum Ende der Astronomie-Zeitschrift "Abenteuer Astronomie" im Jahr 2018 als Kolumnist tätig und schrieb dort über die aktuell sichtbaren Kometen. Er ist Mitglied der "Vereinigung für Sternfreunde e.V.". Neben Astronomie, betreibt der Autor des Blogs auch Fotografie und zeigt diese Bilder u.a. auf Flickr.

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