Schwarzes Loch im frühen Universum verschärft Problem der Galaxienentwicklung

  • Letz­te Ände­rung:5 Mona­ten 
  • Lese­zeit:6Minu­ten
  • Wör­ter:1561
  • Bei­trags­auf­ru­fe:337

Beob­ach­tun­gen eines der am wei­tes­ten ent­fern­ten Schwar­zen Löcher im frü­hen Uni­ver­sum mit dem Welt­raum­te­le­skop JWST zei­gen: Offen­bar wuch­sen Schwar­ze Löcher bereits weni­ger als eine Mil­li­ar­de Jah­re nach dem Urknall in ähn­li­cher Wei­se wie heu­te. Dass es bereits im frü­hen Uni­ver­sum über­ra­schend mas­se­rei­che Schwar­ze Löcher gab, lässt sich daher nicht, wie von einer Rei­he von Astronom*innen erhofft, mit beson­ders effi­zi­en­ten „Füt­te­rungs­me­cha­nis­men“ Schwar­zer Löcher in der Früh­zeit unse­res Kos­mos erklä­ren. Die Ergeb­nis­se wur­den in der Zeit­schrift Natu­re Astro­no­my veröffentlicht.

Künst­le­ri­sche Dar­stel­lung eines frü­hen Qua­sars © T. Mül­ler / MPIA

Info zur Abbil­dung: Das schwar­ze Loch im Zen­trum ist von einer hel­len Akkre­ti­ons­schei­be umge­ben. Wei­ter außen befin­det sich der „Staub­to­rus“, eine unre­gel­mä­ßi­ge, grö­ße­re und deut­lich dicke­re Schei­be, die einem Beob­ach­ter von außen die Sicht auf die Akkre­ti­ons­schei­be ver­de­cken kann. Der Staub­to­rus emit­tiert vor­wie­gend Licht im mitt­le­ren Infra­rot­be­reich, und sei­ne Eigen­schaf­ten las­sen sich an der Gesamt­form (dem „Kon­ti­nu­um“) des Spek­trums able­sen. Die Magnet­fel­der der Akkre­ti­ons­schei­be erzeu­gen einen gebün­del­ten, hoch­en­er­ge­ti­schen Teil­chen­strahl, der aus der unmit­tel­ba­ren Umge­bung des Schwar­zen Lochs recht­wink­lig zur Schei­be abstrahlt. Ober­halb und unter­halb der Schei­be befin­den sich unre­gel­mä­ßi­ge Gas­wol­ken. Da ihre Form nicht bekannt ist, sind sie hier in sti­li­sier­ter Form als Kugeln dar­ge­stellt. Die Gas­wol­ken, die sich in der Nähe des Zen­trums befin­den, umkrei­sen das Schwar­ze Loch mit hoher Geschwin­dig­keit. Dies führt zu brei­ten Emis­si­ons­li­ni­en im Spek­trum des Qua­sars, und die­ser Bereich des Gases wird als „Broad-Line Regi­on“ (etwa „Regi­on, aus der die brei­ten [Spektral-]Linien stam­men“) bezeich­net. Die wei­ter ent­fern­ten Gas­wol­ken, die hier als etwas grö­ße­re Kugeln dar­ge­stellt sind, bewe­gen sich weni­ger schnell und erzeu­gen schma­le­re Emis­si­ons­li­ni­en; sie bil­den die so genann­te „Nar­row-Line Regi­on“ (also „Regi­on, aus der die schma­len [Spektral-]Linien stammen“).

Die ers­ten Mil­li­ar­den Jah­re der kos­mi­schen Geschich­te stel­len für die Astro­no­mie eine Her­aus­for­de­rung dar. Die frü­hes­ten bekann­ten Schwar­zen Löcher in den Zen­tren von Gala­xien besa­ßen bereits damals über­ra­schend gro­ße Mas­sen. Aber wie konn­ten sie so schnell so mas­se­reich wer­den? Jetzt ver­schär­fen neue Beob­ach­tun­gen das Pro­blem sogar noch: Sie lie­fern deut­li­che Bele­ge gegen meh­re­re Lösungs­vor­schlä­ge. Ins­be­son­de­re scheint es für die frü­hes­ten Schwar­zen Löcher kei­nen „ultra-effek­ti­ven Füt­te­rungs­mo­dus“ zu geben, der einen raschen Mas­se­zu­wachs erklä­ren könnte.

Grenzen des Wachstums supermassereicher Schwarzer Löcher

Ster­ne und Gala­xien haben sich in den letz­ten 13,8 Mil­li­ar­den Jah­ren, der bis­he­ri­gen Lebens­zeit unse­res Kos­mos, enorm ver­än­dert. Die Gala­xien sind grö­ßer gewor­den und haben an Mas­se gewon­nen, indem sie sich Gas aus ihrer Umge­bung ein­ver­leibt haben oder (gele­gent­lich) indem zwei Gala­xien mit­ein­an­der ver­schmol­zen sind. Lan­ge Zeit gin­gen die Astro­no­men davon aus, dass die super­mas­se­rei­chen schwar­zen Löcher in den Zen­tren der Gala­xien ähn­lich all­mäh­lich gewach­sen sind wie die Gala­xien selbst.

Schwar­ze Löcher kön­nen ganz all­ge­mein nicht belie­big schnell wach­sen. Mate­rie, die auf ein Schwar­zes Loch fällt, bil­det eine sich dre­hen­de, hei­ße, hel­le „Akkre­ti­ons­schei­be“ um das Schwar­ze Loch. Bei super­mas­se­rei­chen Schwar­zen Löchern ent­steht auf die­se Wei­se ein akti­ver galak­ti­scher Kern. Die hells­ten akti­ven Ker­ne, die so genann­ten Qua­sa­re, gehö­ren zu den hells­ten astro­no­mi­schen Objek­ten über­haupt. Die Hel­lig­keit begrenzt aller­dings, wie viel Mate­rie dann noch auf das Schwar­ze Loch fal­len kann: Licht übt einen (Strahlungs-)Druck aus, der Mate­rie­ein­fall brem­sen oder sogar ver­hin­dern kann.

Wie wurden Schwarze Locher so rasch so massereich?

Des­halb waren die Astronom*innen über­rascht, als sie in den letz­ten zwan­zig Jah­ren bei der Beob­ach­tung ent­fern­ter Qua­sa­re sehr jun­ge Schwar­ze Löcher ent­deck­ten, die den­noch bereits Mas­sen bis zu 10 Mil­li­ar­den Son­nen­mas­sen besa­ßen. In der Astro­no­mie ist der Blick auf weit ent­fern­te Objek­te immer ein Blick in die fer­ne Ver­gan­gen­heit, schlicht weil das Licht jener Objek­te immer eine gewis­se Zeit benö­tigt, um uns zu errei­chen. Die am wei­tes­ten ent­fern­ten bekann­ten Qua­sa­re sehen wir so, wie sie in einer als „kos­mi­sche Däm­me­rung“ bezeich­ne­ten Ära waren, weni­ger als eine Mil­li­ar­de Jah­re nach dem Urknall, als die ers­ten Ster­ne und Gala­xien entstanden.

Die Ent­ste­hung der frü­hen, mas­se­rei­chen Schwar­zen Löcher zu erklä­ren ist aktu­ell eine gro­ße Her­aus­for­de­rung für die Model­le der Gala­xien­ent­wick­lung. Es gibt eine Rei­he von mög­li­chen Erklä­run­gen, aller­dings bis­lang noch kei­ne, die all­ge­mein akzep­tiert wäre. Könn­te es viel­leicht sein, dass frü­he Schwar­ze Löcher viel effi­zi­en­ter Gas akkre­tier­ten als ihre moder­nen Gegen­stü­cke? Oder könn­te Staub die Beob­ach­tun­gen von Qua­sa­ren so beein­flus­sen, dass die Abschät­zun­gen für die Mas­sen von frü­hen Qua­sa­ren irr­tüm­lich zu hoch ausfallen?

Genauer hingeschaut beim Wachstum früher Schwarzer Löcher

Um ent­schei­den zu kön­nen, wel­che der Erklä­run­gen – wenn über­haupt eine davon – die rich­ti­ge ist, sind genaue­re Beob­ach­tun­gen von Qua­sa­ren nötig, als sie bis­lang mög­lich waren. Hier kommt das Welt­raum­te­le­skop JWST und ins­be­son­de­re sein Instru­ment MIRI für den mitt­le­ren Infra­rot­be­reich ins Spiel: Bei der Mes­sung der Spek­tren ent­fern­ter Qua­sa­re ist MIRI 4000 Mal emp­find­li­cher als alle vor­he­ri­gen Instrumente.

Instru­men­te wie MIRI wer­den von inter­na­tio­na­len Kon­sor­ti­en gebaut, in enger Zusam­men­ar­beit zwi­schen Wissenschaftler*innen, Ingenieur*innen und Techniker*innen. Als Gegen­leis­tung für den Bau des Instru­ments erhal­ten die Kon­sor­ti­en ein bestimm­tes Kon­tin­gent an Beob­ach­tungs­zeit. Bereits 2019, Jah­re vor dem Start von JWST, beschloss das euro­päi­sche MIRI-Kon­sor­ti­um, einen Teil die­ser Zeit zu nut­zen, um MIRI mit einer wich­ti­gen Art von Beob­ach­tung auf die Pro­be zu stel­len: Man beschloss, den damals am wei­tes­ten ent­fern­ten bekann­ten Qua­sar zu beob­ach­ten, ein Objekt mit der Bezeich­nung J1120+0641.

Blick auf eines der frühesten Schwarzen Löcher

Die Aus­wer­tung der Beob­ach­tun­gen wur­de Dr. Sarah Bos­man über­tra­gen, Post­dok­to­ran­din am Max-Planck-Insti­tut für Astro­no­mie (MPIA) und Mit­glied des euro­päi­schen MIRI-Kon­sor­ti­ums. Das MPIA hat­te zum MIRI-Instru­ment eine Rei­he wich­ti­ger Bau­tei­le bei­getra­gen. Bos­man war direkt wegen ihrer Erfah­rung bei der Unter­su­chung frü­her super­mas­se­rei­cher Schwar­zer Löcher ein­ge­la­den wor­den, dem MIRI-Kon­sor­ti­um beizutreten.

Die Beob­ach­tun­gen wur­den im Janu­ar 2023 durch­ge­führt, wäh­rend des ers­ten Beob­ach­tungs­zy­klus des JWST, und dau­er­ten etwa zwei­ein­halb Stun­den. Dies war die ers­te Unter­su­chung eines Qua­sars im mitt­le­ren Infra­rot­be­reich in der Zeit der kos­mi­schen Däm­me­rung, nur 770 Mil­lio­nen Jah­re nach dem Urknall (Rot­ver­schie­bung z=7). Erfasst wur­de dabei nicht ein Bild, son­dern ein Spek­trum: die regen­bo­gen­ar­ti­ge Auf­spal­tung des Lichts des Objekts in Kom­po­nen­ten ver­schie­de­ner Wellenlängen.

Auf der Spur von Staub und schnellem Gas

Die Gesamt­form des Spek­trums im mitt­le­ren Infra­rot („Kon­ti­nu­um“) ent­hält Infor­ma­tio­nen über die Eigen­schaf­ten eines gigan­ti­schen, locke­ren Rings aus Staub, wie er die Akkre­ti­ons­schei­be von Qua­sa­ren typi­scher­wei­se umgibt. Der „Staub­to­rus“ hilft, Mate­rie zur Akkre­ti­ons­schei­be zu lei­ten und so das Schwar­ze Loch zu „füt­tern“. Die schlech­te Nach­richt für alle, die die Lösung für die mas­se­rei­chen frü­hen Schwar­zen Löcher in unge­wöhn­lich schnel­lem Wachs­tum suchen: Der Staub­to­rus und damit auch der Füt­te­rungs­me­cha­nis­mus des frü­hen Qua­sars unter­schei­den sich kaum von denen moder­ne­rer Gegen­stü­cke. Den ein­zi­gen Unter­schied hat­te kein Modell des schnel­len Wachs­tums frü­her Qua­sa­re vor­her­ge­sagt: eine rund 100 Kel­vin höhe­re Staub­tem­pe­ra­tur als die 1300 K, die für den hei­ßes­ten Staub in weni­ger weit ent­fern­ten Qua­sa­ren gefun­den wurden.

Bei kür­ze­ren Wel­len­län­gen domi­niert das Licht der Akkre­ti­ons­schei­be das Spek­trum. Hier zei­gen die neu­en Beob­ach­tun­gen, dass das Licht des Qua­sars für uns als ent­fern­te Beob­ach­ter aus­drück­lich nicht durch über­durch­schnitt­lich viel Staub geschwächt wird. Dass wir die Mas­sen frü­her Schwar­zer Löcher ledig­lich wegen des zusätz­li­chen Staubs über­schät­zen wür­den, ist damit auch kei­ne gang­ba­re Erklärung.

Ein “schockierend normaler” früher Quasar

In der soge­nann­ten broad-line regi­on von Qua­sa­ren, benannt nach ihren cha­rak­te­ris­ti­schen brei­ten Spek­tral­li­ni­en, umkrei­sen Gas­klum­pen das Schwar­ze Loch mit annä­hernd Licht­ge­schwin­dig­keit. Das lässt Rück­schlüs­se auf die Mas­se des Schwar­zen Lochs eben­so wie auf Dich­te und Ioni­sie­rung der umge­ben­den Mate­rie zu. Aber auch in die­ser Hin­sicht war bei den Beob­ach­tun­gen alles nor­mal. Bei so gut wie allen Eigen­schaf­ten, die sich aus dem Spek­trum ablei­ten las­sen, unter­schei­det sich J1120+0641 nicht von Qua­sa­ren zu spä­te­ren Zeiten.

Bos­man sagt: „Mit unse­ren Beob­ach­tun­gen wird das Rät­sel noch ein biss­chen rät­sel­haf­ter. Frü­he Qua­sa­re waren über­ra­schend nor­mal. Unab­hän­gig davon, bei wel­chen Wel­len­län­gen wir sie beob­ach­ten, sind Qua­sa­re offen­bar in allen Epo­chen des Uni­ver­sums nahe­zu iden­tisch.“ Es sieht so aus, als wären nicht nur die super­mas­se­rei­chen Schwar­zen Löcher selbst, son­dern auch ihre Füt­te­rungs­me­cha­nis­men bereits völ­lig „aus­ge­reift“ gewe­sen, als das Uni­ver­sum gera­de mal 5% so alt war wie heute.

Das schließt eine Rei­he der Lösungs­vor­schlä­ge für die gro­ße Mas­se frü­her Schwar­zer Löcher aus und stützt damit die Idee, dass super­mas­se­rei­che Schwar­ze Löcher von Anfang an eine beträcht­li­che Mas­se gehabt haben müs­sen, im Fach­jar­gon der Astro­no­mie: dass sie „pri­mor­di­al“ oder bereits von Anfang an „groß ange­legt“ („see­ded lar­ge“) sind. Super­mas­se­rei­che Schwar­ze Löcher hät­ten sich dem­nach nicht aus den Über­res­ten frü­her Ster­ne gebil­det und wären erst anschlie­ßend sehr schnell mas­se­reich gewor­den. Sie dürf­ten sich im Gegen­teil von vorn­her­ein mit Mas­sen von min­des­tens hun­dert­tau­send Son­nen­mas­sen gebil­det haben, ver­mut­lich durch den Kol­laps mas­se­rei­cher frü­her Gaswolken.

MP

Hintergrundinformationen

Die hier beschrie­be­nen Ergeb­nis­se wur­den unter dem Titel „JWST rest-frame infrared spec­tro­sco­py reve­als a matu­re qua­sar at cos­mic dawn“ in der Zeit­schrift Natu­re Astro­no­my veröffentlicht.

Die betei­lig­ten MPIA-Wis­sen­schaft­ler sind Sarah Bos­man (eben­falls Uni­ver­si­tät Hei­del­berg), Fabi­an Wal­ter, Lein­dert Boo­gaard, Manu­el Güdel und Tho­mas Hen­ning, in Zusam­men­ar­beit mit dem MIRI Gua­ran­teed Time Obser­va­tions (MIRI GTO) Team.

Link zur MPIA-Pres­se­mit­tei­lung

Andreas

Andreas Schnabel war bis zum Ende der Astronomie-Zeitschrift "Abenteuer Astronomie" im Jahr 2018 als Kolumnist tätig und schrieb dort über die aktuell sichtbaren Kometen. Er ist Mitglied der "Vereinigung für Sternfreunde e.V.". Neben Astronomie, betreibt der Autor des Blogs auch Fotografie und zeigt diese Bilder u.a. auf Flickr.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert