Beobachtungen eines der am weitesten entfernten Schwarzen Löcher im frühen Universum mit dem Weltraumteleskop JWST zeigen: Offenbar wuchsen Schwarze Löcher bereits weniger als eine Milliarde Jahre nach dem Urknall in ähnlicher Weise wie heute. Dass es bereits im frühen Universum überraschend massereiche Schwarze Löcher gab, lässt sich daher nicht, wie von einer Reihe von Astronom*innen erhofft, mit besonders effizienten „Fütterungsmechanismen“ Schwarzer Löcher in der Frühzeit unseres Kosmos erklären. Die Ergebnisse wurden in der Zeitschrift Nature Astronomy veröffentlicht.
Info zur Abbildung: Das schwarze Loch im Zentrum ist von einer hellen Akkretionsscheibe umgeben. Weiter außen befindet sich der „Staubtorus“, eine unregelmäßige, größere und deutlich dickere Scheibe, die einem Beobachter von außen die Sicht auf die Akkretionsscheibe verdecken kann. Der Staubtorus emittiert vorwiegend Licht im mittleren Infrarotbereich, und seine Eigenschaften lassen sich an der Gesamtform (dem „Kontinuum“) des Spektrums ablesen. Die Magnetfelder der Akkretionsscheibe erzeugen einen gebündelten, hochenergetischen Teilchenstrahl, der aus der unmittelbaren Umgebung des Schwarzen Lochs rechtwinklig zur Scheibe abstrahlt. Oberhalb und unterhalb der Scheibe befinden sich unregelmäßige Gaswolken. Da ihre Form nicht bekannt ist, sind sie hier in stilisierter Form als Kugeln dargestellt. Die Gaswolken, die sich in der Nähe des Zentrums befinden, umkreisen das Schwarze Loch mit hoher Geschwindigkeit. Dies führt zu breiten Emissionslinien im Spektrum des Quasars, und dieser Bereich des Gases wird als „Broad-Line Region“ (etwa „Region, aus der die breiten [Spektral-]Linien stammen“) bezeichnet. Die weiter entfernten Gaswolken, die hier als etwas größere Kugeln dargestellt sind, bewegen sich weniger schnell und erzeugen schmalere Emissionslinien; sie bilden die so genannte „Narrow-Line Region“ (also „Region, aus der die schmalen [Spektral-]Linien stammen“).
Die ersten Milliarden Jahre der kosmischen Geschichte stellen für die Astronomie eine Herausforderung dar. Die frühesten bekannten Schwarzen Löcher in den Zentren von Galaxien besaßen bereits damals überraschend große Massen. Aber wie konnten sie so schnell so massereich werden? Jetzt verschärfen neue Beobachtungen das Problem sogar noch: Sie liefern deutliche Belege gegen mehrere Lösungsvorschläge. Insbesondere scheint es für die frühesten Schwarzen Löcher keinen „ultra-effektiven Fütterungsmodus“ zu geben, der einen raschen Massezuwachs erklären könnte.
Grenzen des Wachstums supermassereicher Schwarzer Löcher
Sterne und Galaxien haben sich in den letzten 13,8 Milliarden Jahren, der bisherigen Lebenszeit unseres Kosmos, enorm verändert. Die Galaxien sind größer geworden und haben an Masse gewonnen, indem sie sich Gas aus ihrer Umgebung einverleibt haben oder (gelegentlich) indem zwei Galaxien miteinander verschmolzen sind. Lange Zeit gingen die Astronomen davon aus, dass die supermassereichen schwarzen Löcher in den Zentren der Galaxien ähnlich allmählich gewachsen sind wie die Galaxien selbst.
Schwarze Löcher können ganz allgemein nicht beliebig schnell wachsen. Materie, die auf ein Schwarzes Loch fällt, bildet eine sich drehende, heiße, helle „Akkretionsscheibe“ um das Schwarze Loch. Bei supermassereichen Schwarzen Löchern entsteht auf diese Weise ein aktiver galaktischer Kern. Die hellsten aktiven Kerne, die so genannten Quasare, gehören zu den hellsten astronomischen Objekten überhaupt. Die Helligkeit begrenzt allerdings, wie viel Materie dann noch auf das Schwarze Loch fallen kann: Licht übt einen (Strahlungs-)Druck aus, der Materieeinfall bremsen oder sogar verhindern kann.
Wie wurden Schwarze Locher so rasch so massereich?
Deshalb waren die Astronom*innen überrascht, als sie in den letzten zwanzig Jahren bei der Beobachtung entfernter Quasare sehr junge Schwarze Löcher entdeckten, die dennoch bereits Massen bis zu 10 Milliarden Sonnenmassen besaßen. In der Astronomie ist der Blick auf weit entfernte Objekte immer ein Blick in die ferne Vergangenheit, schlicht weil das Licht jener Objekte immer eine gewisse Zeit benötigt, um uns zu erreichen. Die am weitesten entfernten bekannten Quasare sehen wir so, wie sie in einer als „kosmische Dämmerung“ bezeichneten Ära waren, weniger als eine Milliarde Jahre nach dem Urknall, als die ersten Sterne und Galaxien entstanden.
Die Entstehung der frühen, massereichen Schwarzen Löcher zu erklären ist aktuell eine große Herausforderung für die Modelle der Galaxienentwicklung. Es gibt eine Reihe von möglichen Erklärungen, allerdings bislang noch keine, die allgemein akzeptiert wäre. Könnte es vielleicht sein, dass frühe Schwarze Löcher viel effizienter Gas akkretierten als ihre modernen Gegenstücke? Oder könnte Staub die Beobachtungen von Quasaren so beeinflussen, dass die Abschätzungen für die Massen von frühen Quasaren irrtümlich zu hoch ausfallen?
Genauer hingeschaut beim Wachstum früher Schwarzer Löcher
Um entscheiden zu können, welche der Erklärungen – wenn überhaupt eine davon – die richtige ist, sind genauere Beobachtungen von Quasaren nötig, als sie bislang möglich waren. Hier kommt das Weltraumteleskop JWST und insbesondere sein Instrument MIRI für den mittleren Infrarotbereich ins Spiel: Bei der Messung der Spektren entfernter Quasare ist MIRI 4000 Mal empfindlicher als alle vorherigen Instrumente.
Instrumente wie MIRI werden von internationalen Konsortien gebaut, in enger Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftler*innen, Ingenieur*innen und Techniker*innen. Als Gegenleistung für den Bau des Instruments erhalten die Konsortien ein bestimmtes Kontingent an Beobachtungszeit. Bereits 2019, Jahre vor dem Start von JWST, beschloss das europäische MIRI-Konsortium, einen Teil dieser Zeit zu nutzen, um MIRI mit einer wichtigen Art von Beobachtung auf die Probe zu stellen: Man beschloss, den damals am weitesten entfernten bekannten Quasar zu beobachten, ein Objekt mit der Bezeichnung J1120+0641.
Blick auf eines der frühesten Schwarzen Löcher
Die Auswertung der Beobachtungen wurde Dr. Sarah Bosman übertragen, Postdoktorandin am Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA) und Mitglied des europäischen MIRI-Konsortiums. Das MPIA hatte zum MIRI-Instrument eine Reihe wichtiger Bauteile beigetragen. Bosman war direkt wegen ihrer Erfahrung bei der Untersuchung früher supermassereicher Schwarzer Löcher eingeladen worden, dem MIRI-Konsortium beizutreten.
Die Beobachtungen wurden im Januar 2023 durchgeführt, während des ersten Beobachtungszyklus des JWST, und dauerten etwa zweieinhalb Stunden. Dies war die erste Untersuchung eines Quasars im mittleren Infrarotbereich in der Zeit der kosmischen Dämmerung, nur 770 Millionen Jahre nach dem Urknall (Rotverschiebung z=7). Erfasst wurde dabei nicht ein Bild, sondern ein Spektrum: die regenbogenartige Aufspaltung des Lichts des Objekts in Komponenten verschiedener Wellenlängen.
Auf der Spur von Staub und schnellem Gas
Die Gesamtform des Spektrums im mittleren Infrarot („Kontinuum“) enthält Informationen über die Eigenschaften eines gigantischen, lockeren Rings aus Staub, wie er die Akkretionsscheibe von Quasaren typischerweise umgibt. Der „Staubtorus“ hilft, Materie zur Akkretionsscheibe zu leiten und so das Schwarze Loch zu „füttern“. Die schlechte Nachricht für alle, die die Lösung für die massereichen frühen Schwarzen Löcher in ungewöhnlich schnellem Wachstum suchen: Der Staubtorus und damit auch der Fütterungsmechanismus des frühen Quasars unterscheiden sich kaum von denen modernerer Gegenstücke. Den einzigen Unterschied hatte kein Modell des schnellen Wachstums früher Quasare vorhergesagt: eine rund 100 Kelvin höhere Staubtemperatur als die 1300 K, die für den heißesten Staub in weniger weit entfernten Quasaren gefunden wurden.
Bei kürzeren Wellenlängen dominiert das Licht der Akkretionsscheibe das Spektrum. Hier zeigen die neuen Beobachtungen, dass das Licht des Quasars für uns als entfernte Beobachter ausdrücklich nicht durch überdurchschnittlich viel Staub geschwächt wird. Dass wir die Massen früher Schwarzer Löcher lediglich wegen des zusätzlichen Staubs überschätzen würden, ist damit auch keine gangbare Erklärung.
Ein “schockierend normaler” früher Quasar
In der sogenannten broad-line region von Quasaren, benannt nach ihren charakteristischen breiten Spektrallinien, umkreisen Gasklumpen das Schwarze Loch mit annähernd Lichtgeschwindigkeit. Das lässt Rückschlüsse auf die Masse des Schwarzen Lochs ebenso wie auf Dichte und Ionisierung der umgebenden Materie zu. Aber auch in dieser Hinsicht war bei den Beobachtungen alles normal. Bei so gut wie allen Eigenschaften, die sich aus dem Spektrum ableiten lassen, unterscheidet sich J1120+0641 nicht von Quasaren zu späteren Zeiten.
Bosman sagt: „Mit unseren Beobachtungen wird das Rätsel noch ein bisschen rätselhafter. Frühe Quasare waren überraschend normal. Unabhängig davon, bei welchen Wellenlängen wir sie beobachten, sind Quasare offenbar in allen Epochen des Universums nahezu identisch.“ Es sieht so aus, als wären nicht nur die supermassereichen Schwarzen Löcher selbst, sondern auch ihre Fütterungsmechanismen bereits völlig „ausgereift“ gewesen, als das Universum gerade mal 5% so alt war wie heute.
Das schließt eine Reihe der Lösungsvorschläge für die große Masse früher Schwarzer Löcher aus und stützt damit die Idee, dass supermassereiche Schwarze Löcher von Anfang an eine beträchtliche Masse gehabt haben müssen, im Fachjargon der Astronomie: dass sie „primordial“ oder bereits von Anfang an „groß angelegt“ („seeded large“) sind. Supermassereiche Schwarze Löcher hätten sich demnach nicht aus den Überresten früher Sterne gebildet und wären erst anschließend sehr schnell massereich geworden. Sie dürften sich im Gegenteil von vornherein mit Massen von mindestens hunderttausend Sonnenmassen gebildet haben, vermutlich durch den Kollaps massereicher früher Gaswolken.
MP
Hintergrundinformationen
Die hier beschriebenen Ergebnisse wurden unter dem Titel „JWST rest-frame infrared spectroscopy reveals a mature quasar at cosmic dawn“ in der Zeitschrift Nature Astronomy veröffentlicht.
Die beteiligten MPIA-Wissenschaftler sind Sarah Bosman (ebenfalls Universität Heidelberg), Fabian Walter, Leindert Boogaard, Manuel Güdel und Thomas Henning, in Zusammenarbeit mit dem MIRI Guaranteed Time Observations (MIRI GTO) Team.
Link zur MPIA-Pressemitteilung