Webb enthüllt komplexe Atmosphäre eines sternenlosen Super-Jupiters

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Ein inter­na­tio­na­les For­scher­team hat her­aus­ge­fun­den, dass die zuvor beob­ach­te­ten Hel­lig­keits­schwan­kun­gen bei einem ster­nen­lo­sen Objekt pla­ne­ta­rer Mas­se mit der Bezeich­nung SIMP 0136 das Ergeb­nis einer kom­ple­xen Kom­bi­na­ti­on atmo­sphä­ri­scher Fak­to­ren sein müs­sen und nicht allein durch Wol­ken erklärt wer­den können.

Mit Hil­fe des James Webb-Welt­raum­te­le­skops der NASA/ESA/CSA, das ein brei­tes Spek­trum des von SIMP 0136 aus­ge­strahl­ten Infra­rot­lichts über zwei vol­le Rota­ti­ons­pe­ri­oden hin­weg über­wacht, konn­te das Team Varia­tio­nen in den Wol­ken­schich­ten, der Tem­pe­ra­tur und der Koh­len­stoff­che­mie fest­stel­len, die zuvor nicht sicht­bar waren. Die Ergeb­nis­se geben einen ent­schei­den­den Ein­blick in die drei­di­men­sio­na­le Kom­ple­xi­tät der Atmo­sphä­ren von Gas­rie­sen inner­halb und außer­halb unse­res Sonnensystems.

SIMP 0136
Die­se künst­le­ri­sche Dar­stel­lung zeigt, wie das iso­lier­te Objekt mit Pla­ne­ten­mas­se SIMP 0136 auf der Grund­la­ge jüngs­ter Beob­ach­tun­gen des James-Webb-Welt­raum­te­le­skops aus­se­hen könn­te. – Cre­dit: NASA, ESA, CSA, J. Olm­sted (STScI)

Schnell rotierend, frei schwebend

SIMP 0136 ist ein schnell rotie­ren­des, frei schwe­ben­des Objekt mit etwa der 13-fachen Mas­se des Jupi­ters, das sich in der Milch­stra­ße nur 20 Licht­jah­re von der Erde ent­fernt befin­det. Obwohl er nicht als Gas­rie­sen-Exo­pla­net klas­si­fi­ziert ist – er umkreist kei­nen Stern und könn­te statt­des­sen ein Brau­ner Zwerg sein – ist SIMP 0136 ein idea­les Ziel für die Exo-Meteo­ro­lo­gie: Er ist das hells­te Objekt sei­ner Art am Nord­him­mel. Da er iso­liert ist, kann er direkt und ohne Angst vor Licht­ver­schmut­zung oder Varia­bi­li­tät durch einen Mut­ter­stern beob­ach­tet wer­den. Und sei­ne kur­ze Rota­ti­ons­pe­ri­ode von nur 2,4 Stun­den ermög­licht eine sehr effi­zi­en­te Durchmusterung.

Vor den Webb-Beob­ach­tun­gen war SIMP 0136 mit­hil­fe erd­ge­bun­de­ner Obser­va­to­ri­en sowie dem Spit­zer-Welt­raum­te­le­skop der NASA und dem Hub­ble-Welt­raum­te­le­skop der NASA/ESA umfas­send unter­sucht worden.

„Wir wuss­ten bereits, dass die Hel­lig­keit vari­iert, und wir waren über­zeugt, dass es lücken­haf­te Wol­ken­schich­ten gibt, die abwech­selnd ins Blick­feld gera­ten und wie­der ver­schwin­den und sich im Lau­fe der Zeit ver­än­dern“, erklär­te Alli­son McCar­thy, Dok­to­ran­din an der Bos­ton Uni­ver­si­ty und Haupt­au­to­rin einer heu­te in The Astro­phy­si­cal Jour­nal Let­ters ver­öf­fent­lich­ten Stu­die . „Wir dach­ten auch, dass Tem­pe­ra­tur­schwan­kun­gen, che­mi­sche Reak­tio­nen und mög­li­cher­wei­se eini­ge Aus­wir­kun­gen der Polar­licht­ak­ti­vi­tät die Hel­lig­keit beein­flus­sen könn­ten, aber wir waren uns nicht sicher.“

Um dies her­aus­zu­fin­den, benö­tig­te das Team Webbs Fähig­keit, Hel­lig­keits­än­de­run­gen über einen brei­ten Wel­len­län­gen­be­reich hin­weg sehr prä­zi­se zu messen.

Kartierung tausender Infrarot-Regenbögen

Mit­hil­fe des Near-Infrared Spec­tro­graph (NIR­Spec ) erfass­te Webb Tau­sen­de ein­zel­ner Spek­tren im Bereich von 0,6 bis 5,3 Mikro­me­tern – alle 1,8 Sekun­den eines über einen Zeit­raum von mehr als drei Stun­den, wäh­rend das Objekt eine vol­le Rota­ti­on voll­ende­te. Unmit­tel­bar dar­auf folg­te eine Beob­ach­tung mit MIRI (Mid-Infrared Instru­ment), das wäh­rend einer wei­te­ren Rota­ti­on Hun­der­te Mes­sun­gen von Licht im Bereich von 5 bis 14 Mikro­me­tern sam­mel­te – alle 19,2 Sekun­den eine. Das Ergeb­nis waren Hun­der­te detail­lier­ter Licht­kur­ven, von denen jede die Hel­lig­keits­än­de­rung einer sehr prä­zi­sen Wel­len­län­ge (Far­be) zeig­te, als unter­schied­li­che Sei­ten des Objekts ins Blick­feld des Instru­ments gerieten.

„Es war unglaub­lich, zu sehen, wie sich das gesam­te Spek­trum die­ses Objekts im Lau­fe von Minu­ten ver­än­der­te“, sag­te die lei­ten­de For­sche­rin Johan­na Vos vom Tri­ni­ty Col­lege Dub­lin. „Bis jetzt hat­ten wir nur einen klei­nen Aus­schnitt des Nahin­fra­rot­spek­trums von Hub­ble und ein paar Hel­lig­keits­mes­sun­gen von Spitzer.“

Spektrum Atmosphäre
Die Gra­fik besteht aus zwei Tei­len. Auf der lin­ken Sei­te sind Licht­kur­ven zu sehen, die die Hel­lig­keits­ver­än­de­rung von drei Grup­pen von Wel­len­län­gen im nahen Infra­rot über die Zeit zei­gen. Auf der rech­ten Sei­te ist ein Quer­schnitt durch die Atmo­sphä­re des Objekts zu sehen, der die Höhe, aus der die ein­zel­nen Wel­len­län­gen stam­men, und ihre Bezie­hung zu den Wol­ken­schich­ten oder der Tem­pe­ra­tur zeigt. – Credit: 

Das Team bemerk­te fast sofort, dass es meh­re­re deut­lich unter­scheid­ba­re Licht­kur­ven gab. Zu jedem Zeit­punkt wur­den eini­ge Wel­len­län­gen hel­ler, wäh­rend ande­re schwä­cher wur­den oder sich über­haupt nicht ver­än­der­ten. Die Hel­lig­keits­schwan­kun­gen müs­sen von einer Rei­he unter­schied­li­cher Fak­to­ren beein­flusst werden.

„Stel­len Sie sich vor, Sie wür­den die Erde aus der Fer­ne betrach­ten. Wenn Sie jede Far­be ein­zeln betrach­ten wür­den, wür­den Sie unter­schied­li­che Mus­ter erken­nen, die Ihnen etwas über ihre Ober­flä­che und Atmo­sphä­re ver­ra­ten, selbst wenn Sie die ein­zel­nen Merk­ma­le nicht erken­nen könn­ten“, erklär­te Co-Autor Phil­ip Muir­head, eben­falls von der Bos­ton Uni­ver­si­ty. „Blau wür­de zuneh­men, wenn die Ozea­ne ins Blick­feld gera­ten. Ver­än­de­run­gen in Braun und Grün wür­den Ihnen etwas über Boden und Vege­ta­ti­on verraten.“

Fleckige Wolken, Hotspots und Kohlenstoffchemie

Um her­aus­zu­fin­den, was die Ursa­che für die Schwan­kun­gen auf SIMP 0136 sein könn­te, nutz­te das Team atmo­sphä­ri­sche Model­le, um zu zei­gen, wo in der Atmo­sphä­re die ein­zel­nen Wel­len­län­gen des Lichts herkommen.

„Ver­schie­de­ne Wel­len­län­gen geben Auf­schluss über unter­schied­li­che Tie­fen in der Atmo­sphä­re“, erklärt McCar­thy. „Wir stell­ten fest, dass die Wel­len­län­gen, die die ähn­lichs­ten Licht­kur­ven­for­men auf­wie­sen, auch die glei­chen Tie­fen erkun­de­ten, was die Idee ver­stärk­te, dass sie durch den­sel­ben Mecha­nis­mus ver­ur­sacht wer­den müssen.“

Eine Grup­pe von Wel­len­län­gen stammt zum Bei­spiel aus den Tie­fen der Atmo­sphä­re, wo sich lücken­haf­te Wol­ken aus Eisen­par­ti­keln befin­den könn­ten. Eine zwei­te Grup­pe stammt aus höhe­ren Wol­ken, die ver­mut­lich aus win­zi­gen Kör­nern von Sili­kat­mi­ne­ra­li­en bestehen. Die Schwan­kun­gen in die­sen bei­den Licht­kur­ven hän­gen mit der Unein­heit­lich­keit der Wol­ken­schich­ten zusammen.

Eine drit­te Grup­pe von Wel­len­län­gen ent­steht in sehr gro­ßer Höhe, weit über den Wol­ken, und scheint der Tem­pe­ra­tur zu fol­gen. Hel­le „Hot Spots“ könn­ten mit Polar­lich­tern zusam­men­hän­gen, die zuvor bei Radio­wel­len­län­gen ent­deckt wur­den, oder mit dem Auf­stei­gen von hei­ßem Gas aus tie­fe­ren Schich­ten der Atmosphäre.

Eini­ge der Licht­kur­ven las­sen sich weder durch Wol­ken noch durch Tem­pe­ra­tur erklä­ren, son­dern zei­gen Varia­tio­nen, die mit der atmo­sphä­ri­schen Koh­len­stoff­che­mie zusam­men­hän­gen. Es könn­te Koh­len­mon­oxid- und Koh­len­di­oxid­ein­schlüs­se geben, die abwech­selnd ins Blick­feld gera­ten oder ver­schwin­den, oder che­mi­sche Reak­tio­nen, die die Atmo­sphä­re verändern.

„Den che­mi­schen Teil des Puz­zles haben wir noch nicht wirk­lich her­aus­ge­fun­den“, sag­te Vos. „Aber die­se Ergeb­nis­se sind wirk­lich auf­re­gend, weil sie uns zei­gen, dass sich die Häu­fig­keit von Mole­kü­len wie Methan und Koh­len­di­oxid von Ort zu Ort und im Lau­fe der Zeit ändern kann. Wenn wir einen Exo­pla­ne­ten unter­su­chen und nur eine Mes­sung durch­füh­ren kön­nen, müs­sen wir beden­ken, dass die­se mög­li­cher­wei­se nicht reprä­sen­ta­tiv für den gesam­ten Pla­ne­ten ist.“

Die­se For­schung wur­de im Rah­men von Webbs Gene­ral Obser­ver (GO)-Programm 3548 durchgeführt .

Hintergrundinformationen

Webb ist das größ­te und leis­tungs­stärks­te Tele­skop, das jemals in den Welt­raum gebracht wur­de. Im Rah­men einer inter­na­tio­na­len Koope­ra­ti­ons­ver­ein­ba­rung stell­te die ESA den Start­dienst des Tele­skops mit der Trä­ger­ra­ke­te Aria­ne 5 bereit. In Zusam­men­ar­beit mit Part­nern war die ESA für die Ent­wick­lung und Qua­li­fi­ka­ti­on der Aria­ne-5-Adap­tio­nen für die Webb-Mis­si­on und für die Beschaf­fung des Start­diens­tes durch Aria­nespace ver­ant­wort­lich. Die ESA stell­te außer­dem den Arbeits­spek­tro­gra­phen NIR­Spec und 50 % des Mit­tel­in­fra­rot­in­stru­ments MIRI zur Ver­fü­gung, das von einem Kon­sor­ti­um natio­nal finan­zier­ter euro­päi­scher Insti­tu­te (dem MIRI Euro­pean Con­sor­ti­um) in Zusam­men­ar­beit mit JPL und der Uni­ver­si­ty of Ari­zo­na ent­wor­fen und gebaut wurde.

Webb ist eine inter­na­tio­na­le Part­ner­schaft zwi­schen NASA, ESA und der Cana­di­an Space Agen­cy (CSA).

Bild­nach­weis: NASA, ESA, CSA, Joseph Olm­sted (STScI)

Links

Link zur ESA-Pres­se­mit­tei­lung weic2502a

Andreas

Andreas Schnabel war bis zum Ende der Astronomie-Zeitschrift "Abenteuer Astronomie" im Jahr 2018 als Kolumnist tätig und schrieb dort über die aktuell sichtbaren Kometen. Er ist Mitglied der "Vereinigung für Sternfreunde e.V.". Neben Astronomie, betreibt der Autor des Blogs auch Fotografie und zeigt diese Bilder u.a. auf Flickr.

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