Eine Blazar in Rekordentfernung

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Astro­nom­in­nen und Astro­no­men haben einen wich­ti­gen Teil der Ant­wort auf die Fra­ge gefun­den, wie super­mas­se­rei­che Schwar­ze Löcher im frü­hen Uni­ver­sum so schnell wach­sen konn­ten: eine beson­de­re Sor­te von akti­vem galak­ti­schem Kern, der so weit ent­fernt ist, dass sein Licht mehr als 12,9 Mil­li­ar­den Jah­re gebraucht hat, um uns zu errei­chen. Die Exis­tenz die­ses so genann­ten Bla­zars legt nahe, dass es eine gro­ße, aber ver­bor­ge­ne Popu­la­ti­on ähn­li­cher Objek­te gibt, die sämt­lich star­ke Teil­chen­jets aus­sen­den. Das wie­der­um ist bedeut­sam, da Schwar­ze Löcher, die Jets erzeu­gen, wesent­lich schnel­ler wach­sen kön­nen soll­ten als Schwar­ze Löcher ohne Jets.

Akti­ve galak­ti­sche Ker­ne (eng­lisch acti­ve galac­tic nuclei, AGN) sind extrem hel­le Zen­tral­re­gio­nen von Gala­xien. Ange­trie­ben wird der Ener­gie­aus­stoß eines AGN durch Mate­rie, die auf das zen­tra­le super­mas­se­rei­che Schwar­ze Loch der betref­fen­den Gala­xie fällt. Sol­cher Mate­rie-Ein­fall, „Akkre­ti­on“, ist die effi­zi­en­tes­te Art der Ener­gie­frei­set­zung über­haupt. Ent­spre­chend kön­nen AGN mehr Licht erzeu­gen als alle Ster­ne in Hun­der­ten, Tau­sen­den oder noch mehr Gala­xien zusam­men, und das in einer Raum­re­gi­on klei­ner als unser Sonnensystem. 

Blazar
Künst­le­ri­sche Dar­stel­lung des hel­len, sehr frü­hen akti­ven galak­ti­schen Kerns, der von Baña­dos et al. gefun­den wur­de. Die Ent­de­ckung lie­fert wich­ti­ge Infor­ma­tio­nen über das Wachs­tum Schwar­zer Löcher in der ers­ten Mil­li­ar­den Jah­re kos­mi­sche Geschich­te. © NSF/AUI/NSF NRAO/B. Saxton

Man nimmt an, dass min­des­tens zehn Pro­zent aller AGN gebün­del­te hoch­en­er­ge­ti­sche Teil­chen­strah­len aus­sen­den, so genann­te Jets. Sol­che Jets schie­ßen aus der unmit­tel­ba­ren Umge­bung des Schwar­zen Lochs in zwei ent­ge­gen­ge­setz­te Rich­tun­gen. Erzeugt wer­den sie durch Magnet­fel­der, die in der „Akkre­ti­ons­schei­be“ von Gas ver­an­kert sind, das um das Schwar­ze Loch her­um­wir­belt. Damit wir einen AGN als Bla­zar sehen, ist ein beacht­li­cher Zufall von­nö­ten: die Erde, von der aus wir ja all unse­re astro­no­mi­schen Beob­ach­tun­gen vor­neh­men, muss sich vom AGN aus zufäl­lig genau in der­je­ni­gen Rich­tung befin­den, in die auch der Jet läuft. Das Ergeb­nis ist das astro­no­mi­sche Ana­lo­gon dazu, dass einem jemand den Strahl einer sehr hel­len Taschen­lam­pe direkt in die Augen leuch­tet: ein beson­ders hel­les Objekt am Him­mel. Cha­rak­te­ris­tisch für einen Bla­zar ist außer­dem, dass sei­ne Hel­lig­keit rasch fluk­tu­iert, näm­lich auf Zeit­ska­len von Tagen, Stun­den oder sogar weni­ger. Das ist eine Fol­ge der zufäl­li­gen Ver­än­de­run­gen in der wir­beln­den Akkre­ti­ons­schei­be an der Basis des Jets sowie von Insta­bi­li­tä­ten im Wech­sel­spiel zwi­schen Magnet­fel­dern und gela­de­nen Teil­chen im Jet selbst.

Auf der Suche nach aktiven Galaxienkernen im frühen Universum

Die neue Ent­de­ckung war das Ergeb­nis einer sys­te­ma­ti­schen Suche nach akti­ven Gala­xien­ker­nen im frü­hen Uni­ver­sum. Ver­ant­wort­lich dafür zeich­net Edu­ar­do Baña­dos, ein For­schungs­grup­pen­lei­ter am Max-Planck-Insti­tut für Astro­no­mie, der sich auf die ers­ten Mil­li­ar­den Jah­re der kos­mi­schen Geschich­te spe­zia­li­siert hat. Da Licht Zeit braucht, um uns zu errei­chen, sehen wir weit ent­fern­te Objek­te jeweils so, wie sie vor Mil­lio­nen oder sogar Mil­li­ar­den Jah­ren waren. Hin­zu kommt ein wei­te­rer Effekt: die kos­mo­lo­gi­sche Rot­ver­schie­bung, eine Fol­ge der ste­ten Expan­si­on unse­res Kos­mos, ver­schiebt das von fer­nen Objek­ten aus­ge­sand­te Licht hin zu län­ge­ren Wel­len­län­gen. Baña­dos und sein Team mach­ten sich die­se Tat­sa­che zunut­ze. Sie such­ten sys­te­ma­tisch nach Objek­ten, deren Licht so stark rot­ver­scho­ben war, dass jene Objek­te bei Beob­ach­tun­gen im sicht­ba­ren Bereich des Spek­trums (kon­kret: im Dark Ener­gy Lega­cy Sur­vey) gar nicht mehr zu sehen waren, aber in einer Radio-Durch­mus­te­rung (der 3‑GHz-VLASS-Durch­mus­te­rung) als hel­le Quel­len auftraten.

Unter den 20 Kan­di­da­ten-Objek­ten, die bei­de Kri­te­ri­en erfüll­ten, genüg­te nur ein ein­zi­ges, näm­lich J0410-0139 noch einem wei­te­ren wich­ti­gen Kri­te­ri­um: Jenes Objekt zeig­te zusätz­lich signi­fi­kan­te Hel­lig­keits­schwan­kun­gen im Radio­be­reich. Das wie­der­um ist ein star­kes Indiz, dass es sich in der Tat um einen Bla­zar han­delt. Die­sem Objekt rück­ten die For­scher um Baña­dos dann mit einer gan­zen Bat­te­rie von Tele­sko­pen genau­er zulei­be: Nahin­fra­rot­be­ob­ach­tun­gen mit dem New Tech­no­lo­gy Telescope (NTT) der ESO, ein Spek­trum mit dem Very Lar­ge Telescope (VLT) der ESO, zusätz­li­che Nahin­fra­rot­spek­tren mit dem LBT, mit einem der Keck-Tele­sko­pe und mit dem Magel­lan-Tele­skop, Rönt­gen­bil­der mit dem XMM-New­ton-Tele­skop der ESA und dem Chandra-Tele­skop der NASA, Mil­li­me­ter­wel­len­be­ob­ach­tun­gen mit den ALMA- und NOE­MA-Tele­s­kop­ver­bün­den sowie detail­lier­te­re Radio­be­ob­ach­tun­gen mit den VLA-Tele­sko­pen des Natio­nal Radio Astro­no­my Obser­va­to­ry in den USA.

Die sys­te­ma­ti­schen Beob­ach­tun­gen bestä­tig­ten, dass es sich in der Tat um einen akti­ven Gala­xien­kern und spe­zi­ell um einen Bla­zar han­del­te. Die Beob­ach­tun­gen lie­fer­ten (über die Rot­ver­schie­bung) auch die Ent­fer­nung Objekts. Sogar Spu­ren der Wirts­ga­la­xie, in deren Zen­trum sich das Objekt befin­det, wur­den gefun­den. Das Licht die­ses akti­ven galak­ti­schen Kerns hat 12,9 Mil­li­ar­den Jah­re gebraucht, um uns zu errei­chen (z=6,9964) und lie­fert uns dem­nach Infor­ma­tio­nen über das Uni­ver­sum, wie es vor 12,9 Mil­li­ar­den Jah­ren war.

„Wo es einen gibt, gibt es noch hundert weitere.“

Baña­dos sagt: „Der Umstand, dass J0410-0139 ein Bla­zar ist – mit einem Jet, der zufäl­lig direkt auf die Erde zeigt – erlaubt unmit­tel­ba­re sta­tis­ti­sche Schlüs­se. Stel­len Sie sich vor, Sie lesen von jeman­dem, der 100 Mil­lio­nen Euro im Lot­to gewon­nen hat. Bedenkt man, wie sel­ten ein sol­cher Gewinn ist, folgt sofort, dass es noch ungleich mehr Men­schen gege­ben haben muss, die an die­ser Lot­te­rie teil­ge­nom­men, aber kei­ne so exor­bi­tan­te Sum­me gewon­nen haben. Ana­log legt die Ent­de­ckung eines AGN mit einem direkt auf uns gerich­te­ten Jet nahe, dass es zu dem ent­spre­chen­den Zeit­punkt in der kos­mi­schen Geschich­te noch vie­le wei­te­re AGN mit Jets gege­ben haben muss, die nicht auf uns gerich­tet sind.“ Oder in der Kurz­fas­sung von Sil­via Bel­la­dit­ta, Post-Doc am MPIA und Mit­au­torin der vor­lie­gen­den Ver­öf­fent­li­chung: „Wo es einen gibt, gibt es noch hun­dert weitere“.

Das Licht des bis­he­ri­gen Rekord­hal­ters für den am wei­tes­ten ent­fern­ten Bla­zar hat rund 100 Mil­lio­nen Jah­re weni­ger gebraucht, um uns zu errei­chen (z=6,1). Die zusätz­li­chen 100 Mil­lio­nen Jah­re mögen ange­sichts der Tat­sa­che, dass wir ins­ge­samt mehr als 12 Mil­li­ar­den Jah­re zurück­bli­cken, nicht viel erschei­nen. Und doch machen sie einen ent­schei­den­den Unter­schied. Das dama­li­ge Uni­ver­sum hat sich näm­lich viel rascher ver­än­dert als das heu­ti­ge, und inner­halb jener 100 Mil­lio­nen Jah­ren konn­te ein super­mas­se­rei­ches Schwar­zes Loch sei­ne Mas­se ver­zehn­fa­chen. Den aktu­el­len Model­len zufol­ge sol­le sich die Zahl der AGN in die­sen 100 Mil­lio­nen Jah­ren um den Fak­tor fünf bis zehn erhöht haben. Die Ent­de­ckung, dass es vor 12,8 Mil­li­ar­den Jah­ren einen sol­chen Bla­zar gab, wäre nicht uner­war­tet. Die Tat­sa­che, dass es ihn vor 12,9 Mil­li­ar­den Jah­ren gab, wie in die­sem Fall, ist eine ganz ande­re Sache.

Hilfe für das Wachstum Schwarzer Löcher

Dass es zu jenem frü­hen Zeit­punkt offen­bar bereits eine gan­ze Popu­la­ti­on von AGN mit Jets gab, hat Kon­se­quen­zen für das Wachs­tum super­mas­se­rei­cher Schwar­zer Löcher in jener Epo­che der kos­mi­schen Geschich­te. Schwar­ze Löcher, deren AGN Jets haben, soll­ten schnel­ler an Mas­se zule­gen kön­nen als Schwar­ze Löcher ohne Jets. Anders als man den­ken könn­te, ist es näm­lich alles ande­re als ein­fach für Gas, in ein Schwar­zes Loch zu fal­len. Nor­ma­ler­wei­se umkreist Gas ein Schwar­zes Loch, ähn­lich wie ein Pla­net die Son­ne umkreist, und zwar mit zuneh­men­der Geschwin­dig­keit, je näher das Gas dem Schwar­zen Loch kommt („Dreh­im­puls­er­hal­tung“). Um hin­ein­zu­fal­len, muss das Gas erst lang­sa­mer wer­den und Ener­gie ver­lie­ren. Wo ein Jet ist, sind auch Magnet­fel­der, und sol­che Magnet­fel­der die mit der wir­beln­den Gas­schei­be wech­sel­wir­ken, kön­nen das Gas abbrem­sen und damit ins Schwar­ze Loch befördern.

Damit hat die neue Ent­de­ckung Kon­se­quen­zen, die in jedes zukünf­ti­ge Model des Wachs­tums Schwar­zer Löcher in den frü­hen Pha­sen des Uni­ver­sums Ein­gang fin­den dürf­ten: Vor 12,9 Mil­li­ar­den Jah­ren gab es eine Popu­la­ti­on von akti­ven Gala­xien­ker­nen mit Jets und damit auch mit Magnet­fel­dern, die gute Bedin­gun­gen für das rasche Wachs­tum super­mas­se­rei­cher Schwar­zer Löcher schufen.

Hintergrundinformationen

Die hier beschrie­be­nen Ergeb­nis­se wur­den ver­öf­fent­licht als E. Baña­dos et al. „A bla­zar in the epoch of reio­niza­ti­on“ in Natu­re Astro­no­my und als E. Baña­dos et al. „[CII] pro­per­ties and Far-Infrared varia­bi­li­ty of a z = 7 bla­zar“ in Astro­phy­si­cal Jour­nal Let­ters. Die betei­lig­ten MPIA-Wissenschaftler*innen sind Edu­ar­do Baña­dos, Sil­via Bel­la­dit­ta (außer­dem INAF Bolo­gna), Fabi­an Wal­ter, Zhang-Liang Xie, Yana Khus­a­no­va und Sofía Rojas-Ruiz (außer­dem UCLA), in Zusam­men­ar­beit mit Emma­nu­el Mom­ji­an (Natio­nal Radio Astro­no­my Obser­va­to­ry, USA), Tho­mas Con­nor (Har­vard-Smit­h­so­ni­an Cen­ter for Astro­phy­sics), Rober­to Decar­li (INAF Bolo­gna) und Chia­ra Maz­zuc­chel­li (Uni­ver­si­dad Die­go Por­ta­les, Chile).

MP

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Andreas

Andreas Schnabel war bis zum Ende der Astronomie-Zeitschrift "Abenteuer Astronomie" im Jahr 2018 als Kolumnist tätig und schrieb dort über die aktuell sichtbaren Kometen. Er ist Mitglied der "Vereinigung für Sternfreunde e.V.". Neben Astronomie, betreibt der Autor des Blogs auch Fotografie und zeigt diese Bilder u.a. auf Flickr.

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