Die bisher detaillierteste Infrarotkarte unserer Milchstraße

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Astro­no­men haben eine gigan­ti­sche Infra­rot­kar­te der Milch­stra­ße mit mehr als 1,5 Mil­li­ar­den Objek­ten ver­öf­fent­licht – die detail­lier­tes­te Kar­te, die je erstellt wur­de. Mit dem VIS­TA-Tele­skop der Euro­päi­schen Süd­stern­war­te hat das Team die zen­tra­len Regio­nen unse­rer Gala­xie über mehr als 13 Jah­re hin­weg beob­ach­tet. Mit 500 Tera­byte an Daten ist dies das größ­te Beob­ach­tungs­pro­jekt, das je mit einem ESO-Tele­skop durch­ge­führt wurde.

Collage
Die­se Col­la­ge beleuch­tet eine klei­ne Aus­wahl von Regio­nen der Milch­stra­ße, die als Teil der detail­lier­tes­ten Infra­rot­kar­te unse­rer Gala­xie aller Zei­ten abge­bil­det wur­den. Hier sehen wir von links nach rechts und von oben nach unten: NGC 3576, NGC 6357, Mes­sier 17, NGC 6188, Mes­sier 22 und NGC 3603 – Cre­dit: ESO/VVVX survey

„Wir haben so vie­le Ent­de­ckun­gen gemacht, dass wir das Bild unse­rer Gala­xie für immer ver­än­dert haben“, sagt Dan­te Min­ni­ti, Astro­phy­si­ker an der Uni­ver­si­dad Andrés Bel­lo in Chi­le, der das Gesamt­pro­jekt leitete.

Die rekord­ver­däch­ti­ge Kar­te besteht aus 200.000 Bil­dern, die mit dem VISTA-Tele­skop der ESO (Visi­ble and Infrared Sur­vey Telescope for Astro­no­my) auf­ge­nom­men wur­den. Das Tele­skop ist Teil des Par­anal-Obser­va­to­ri­um der ESO in Chi­le und dient in ers­ter Linie dazu, gro­ße Berei­che des Him­mels zu kar­tie­ren. Das Team nutz­te die Infra­rot­ka­me­ra VIRCAM von VISTA, die durch den Staub und das Gas, die unse­re Gala­xie durch­drin­gen, hin­durch­se­hen kann. Sie ist daher in der Lage, die Strah­lung aus den ver­bor­gens­ten Win­keln der Milch­stra­ße zu sehen, was ein ein­zig­ar­ti­ges Fens­ter zu unse­rer galak­ti­schen Umge­bung öffnet.

Die­ser gigan­ti­sche Daten­satz [1] deckt eine Him­mels­flä­che ab, die 8.600 Voll­mon­den ent­spricht, und ent­hält etwa zehn­mal mehr Objek­te als eine frü­he­re Kar­te, die 2012 vom sel­ben Team ver­öf­fent­licht wur­de. Dazu gehö­ren neu­ge­bo­re­ne Ster­ne, die oft in stau­bi­ge Kokons ein­ge­bet­tet sind, und Kugel­stern­hau­fen – dich­te Grup­pen von Mil­lio­nen der ältes­ten Ster­ne in der Milch­stra­ße. Durch die Beob­ach­tung von Infra­rot­licht kann VISTA auch sehr kal­te Objek­te auf­spü­ren, die bei die­sen Wel­len­län­gen leuch­ten, wie z. B. brau­ne Zwer­ge („geschei­ter­te“ Ster­ne, die kei­ne anhal­ten­de Kern­fu­si­on haben) oder frei schwe­ben­de Pla­ne­ten, die kei­nen Stern umkreisen.

Milchstraßenregionen
Die­ses Bild zeigt die Regio­nen der Milch­stra­ße, die von den VIS­TA-Varia­blen in der Vía Lác­tea (VVV)-Durchmusterung und ihrem Begleit­pro­jekt, der VVV eXten­ded Sur­vey (VVVX), kar­tiert wur­den. Die gesam­te abge­deck­te Flä­che ent­spricht 8600 Voll­mon­den. – Cre­dit: ESO/VVVX survey

Die Beob­ach­tun­gen began­nen im Jahr 2010 und ende­ten in der ers­ten Hälf­te des Jah­res 2023, d. h. sie erstreck­ten sich über ins­ge­samt 420 Näch­te. Durch die mehr­ma­li­ge Beob­ach­tung jedes Him­mels­ab­schnitts konn­te das Team nicht nur die Posi­tio­nen die­ser Objek­te bestim­men, son­dern auch ver­fol­gen, wie sie sich bewe­gen und ob sich ihre Hel­lig­keit ändert. Sie zeich­ne­ten Ster­ne auf, deren Hel­lig­keit sich peri­odisch ändert und die als kos­mi­sches Lei­ter für Ent­fer­nungs­mes­sun­gen ver­wen­det wer­den kön­nen [2]. Auf die­se Wei­se erhiel­ten wir eine genaue 3D-Ansicht der inne­ren Regio­nen der Milch­stra­ße, die zuvor durch Staub ver­deckt waren. Die For­scher ver­folg­ten auch Hoch­ge­schwin­dig­keits­ster­ne – sich schnell bewe­gen­de Ster­ne, die nach einer engen Begeg­nung mit dem dort lau­ern­den super­mas­se­rei­chen Schwar­zen Loch aus der zen­tra­len Regi­on der Milch­stra­ße her­aus­ka­ta­pul­tiert werden.

Die neue Kar­te ent­hält Daten, die im Rah­men der VIS­TA-Durch­mus­te­rung der Varia­blen in der Vía Lác­tea (VVV) [3] und ihres Begleit­pro­jekts, der VVV eXten­ded (VVVX) Durch­mus­te­rung, gesam­melt wur­den. „Das Pro­jekt war eine monu­men­ta­le Anstren­gung, die nur mög­lich war, weil wir von einem groß­ar­ti­gen Team umge­ben waren“, sagt Rober­to Sai­to, Astro­phy­si­ker an der Uni­ver­si­da­de Fede­ral de San­ta Cata­ri­na in Bra­si­li­en und Haupt­au­tor der heu­te in Astro­no­my & Astro­phy­sics ver­öf­fent­lich­ten Ver­öf­fent­li­chung zum Abschluss des Projekts.

Die Durch­mus­te­run­gen VVV und VVVX haben bereits zu mehr als 300 wis­sen­schaft­li­chen Arti­keln geführt. Da die Durch­mus­te­run­gen nun abge­schlos­sen sind, wird die wis­sen­schaft­li­che Erfor­schung der gesam­mel­ten Daten noch Jahr­zehn­te andau­ern. In der Zwi­schen­zeit wird das Par­anal-Obser­va­to­ri­um der ESO auf die Zukunft vor­be­rei­tet: VISTA wird mit dem neu­en Instru­ment 4MOST auf­ge­rüs­tet und das Very Lar­ge Telescope (VLT) der ESO erhält das Instru­ment MOONS. Zusam­men wer­den sie Spek­tren von Mil­lio­nen der hier unter­such­ten Objek­te lie­fern, wobei unzäh­li­ge Ent­de­ckun­gen zu erwar­ten sind.

Anmerkungen

[1] Der Daten­satz ist zu groß, um ihn als Ein­zel­bild zu ver­öf­fent­li­chen, aber die ver­ar­bei­te­ten Daten und der Objekt­ka­ta­log kön­nen im ESO Sci­ence Por­tal ein­ge­se­hen werden.

[2] Eine Mög­lich­keit, die Ent­fer­nung zu einem Stern zu mes­sen, besteht dar­in, sei­ne Hel­lig­keit von der Erde aus gese­hen mit sei­ner Eigen­hel­lig­keit zu ver­glei­chen; letz­te­re ist jedoch oft unbe­kannt. Bestimm­te Stern­ty­pen ändern ihre Hel­lig­keit in regel­mä­ßi­gen Abstän­den, und es besteht ein sehr enger Zusam­men­hang zwi­schen der Geschwin­dig­keit, mit der sie dies tun, und ihrer Eigen­hel­lig­keit. Durch die Mes­sung die­ser Schwan­kun­gen kön­nen die Astro­no­men her­aus­fin­den, wie hell die­se Ster­ne sind und wie weit sie daher ent­fernt sind.

[3] Vía Lác­tea ist der latei­ni­sche Name für die Milchstraße.

Hintergrundinformationen

Die­se For­schungs­ar­beit wur­de in einer Ver­öf­fent­li­chung mit dem Titel „The VISTA Varia­bles in the Vía Lác­tea eXten­ded (VVVX) ESO public sur­vey: Com­ple­ti­on of the obser­va­tions and lega­cy“ in Astro­no­my & Astro­phy­sics (https://doi.org/10.1051/0004–6361/202450584) ver­öf­fent­licht. Daten DOI: VVV, VVVX.

Die Euro­päi­sche Süd­stern­war­te (ESO) ermög­licht es Wis­sen­schaft­lern welt­weit, die Geheim­nis­se des Uni­ver­sums zum Nut­zen aller zu ent­de­cken. Wir ent­wer­fen, bau­en und betrei­ben Obser­va­to­ri­en von Welt­rang, die Astro­no­men nut­zen, um span­nen­de Fra­gen zu beant­wor­ten und die Fas­zi­na­ti­on der Astro­no­mie zu ver­brei­ten, und för­dern die inter­na­tio­na­le Zusam­men­ar­beit in der Astro­no­mie. Die ESO wur­de 1962 als zwi­schen­staat­li­che Orga­ni­sa­ti­on gegrün­det und wird heu­te von 16 Mit­glied­staa­ten (Bel­gi­en, Däne­mark, Deutsch­land, Frank­reich, Finn­land, Irland, Ita­li­en, den Nie­der­lan­den, Öster­reich, Polen, Por­tu­gal, Schwe­den, der Schweiz, Spa­ni­en, der Tsche­chi­schen Repu­blik und dem Ver­ei­nig­ten König­reich) sowie dem Gast­land Chi­le und Aus­tra­li­en als stra­te­gi­schem Part­ner unter­stützt. Der Haupt­sitz der ESO und ihr Besu­cher­zen­trum und Pla­ne­ta­ri­um, das ESO Super­no­va, befin­den sich in der Nähe von Mün­chen in Deutsch­land, wäh­rend die chi­le­ni­sche Ata­ca­ma-Wüs­te, ein wun­der­ba­rer Ort mit ein­zig­ar­ti­gen Bedin­gun­gen für die Beob­ach­tung des Him­mels, unse­re Tele­sko­pe beher­bergt. Die ESO betreibt drei Beob­ach­tungs­stand­or­te: La Sil­la, Par­anal und Cha­jnan­tor. In Par­anal betreibt die ESO das Very Lar­ge Telescope und sein Very Lar­ge Telescope Inter­fe­ro­me­ter sowie Durch­mus­te­rungs­te­le­sko­pe wie VISTA. Außer­dem wird die ESO am Par­anal das Che­ren­kov Telescope Array South betrei­ben, das größ­te und emp­find­lichs­te Gam­ma­strah­len-Obser­va­to­ri­um der Welt. Zusam­men mit inter­na­tio­na­len Part­nern betreibt die ESO ALMA auf Cha­jnan­tor, eine Anla­ge zur Beob­ach­tung des Him­mels im Mil­li­me­ter- und Sub­mil­li­me­ter­be­reich. Auf dem Cer­ro Arma­zo­nes in der Nähe von Par­anal bau­en wir „das größ­te Auge der Welt am Him­mel“ – das Extre­me­ly Lar­ge Telescope der ESO. Von unse­ren Büros in Sant­ia­go, Chi­le, aus unter­stüt­zen wir unse­re Akti­vi­tä­ten im Land und arbei­ten mit chi­le­ni­schen Part­nern und der Gesell­schaft zusammen.

Links

Wis­sen­schaft­li­ches Paper
Fotos von den Durch­mus­te­rungs­te­le­sko­pen am Par­anal, ein­schließ­lich VISTA

Link zur ESO-Pres­se­mit­tei­lung

Andreas

Andreas Schnabel war bis zum Ende der Astronomie-Zeitschrift "Abenteuer Astronomie" im Jahr 2018 als Kolumnist tätig und schrieb dort über die aktuell sichtbaren Kometen. Er ist Mitglied der "Vereinigung für Sternfreunde e.V.". Neben Astronomie, betreibt der Autor des Blogs auch Fotografie und zeigt diese Bilder u.a. auf Flickr.

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