Extrem schnell bewegte Sterne im Sternhaufen Omega Centauri, die eine neue Untersuchung ausfindig gemacht hat, zeigen: im Zentrum des Sternhaufens befindet sich ein Schwarzes Loch mit mindestens 8.200 Sonnenmassen. Die Existenz solcher Schwarzen Löcher mittlerer Masse galt in der Astronomie zwar als ausgemacht. Zuverlässige Beobachtungen dazu hatte es aber bislang nicht gegeben. Der Fund bestätigt außerdem, dass Omega Centauri die Kernregion einer Galaxie ist, die vor Milliarden von Jahren von der Milchstraße verschluckt wurde. Ohne seine äußeren Sterne hat sich der Galaxienkern seither so gut wie nicht weiterentwickelt. Die Studie wurde in der Zeitschrift Nature veröffentlicht.
Omega Centauri ist eine spektakuläre Ansammlung von etwa zehn Millionen Sternen, die in südlichen Breitengraden als Fleck am Nachthimmel sichtbar ist. Durch ein kleines Teleskop sieht er nicht anders aus als andere so genannte Kugelsternhaufen: eine kugelförmige Ansammlung von Sternen, die zum Zentrum hin so dicht ist, dass es unmöglich wird, einzelne Sterne zu unterscheiden. Jetzt bestätigt eine neue Studie unter der Leitung von Maximilian Häberle (Max-Planck-Institut für Astronomie), was Astronom*innen schon seit Längerem vermutet hatten: Omega Centauri enthält ein zentrales Schwarzes Loch. Das Schwarze Loch ist zudem eine Art „fehlendes Bindeglied“ zwischen den am besten erforschten Klassen von Schwarzen Löchern: den leichten stellaren und den deutlich schwereren supermassereichen Schwarzen Löchern. Es befindet sich in einem Zwischenstadium der Entwicklung und ist deutlich weniger massereich als typische Schwarze Löcher in den Zentren von Galaxien. Omega Centauri ist offenbar der Kern einer kleinen, separaten Galaxie, deren Entwicklung abrupt aufhörte, als sie von der Milchstraße verschluckt wurde.
Schwarze Löcher verschiedener Masse
Die Astronomie kennt für Schwarze Löcher unterschiedliche Massenbereiche. Stellare Schwarze Löcher mit einer bis zu einigen Dutzend Sonnenmassen sind vergleichsweise gut erforscht, ebenso wie supermassereiche Schwarze Löcher in den Zentren von Galaxien, mit Massen von Millionen oder sogar Milliarden Sonnen. Das heutige Bild von der Entwicklung der Galaxien geht davon aus, dass die frühesten Galaxien zentrale Schwarze Löcher mittlerer Größe besaßen. Im Laufe der weiteren Entwicklung, als nämlich die Galaxien wuchsen, indem sie sich kleinere Galaxien einverleibten (wie es unsere Milchstraße mehrmals tat) oder mit größeren Galaxien verschmolzen sollten auch jene Schwarzen Löcher mehr Masse gewonnen haben.
Mittelgroße Schwarzen Löcher sind im heutigen Universum notorisch schwer zu finden. Galaxien wie unsere Milchstraße sind längst „ausgewachsen“ und enthalten deutlich massereichere zentrale Schwarze Löcher. Galaxien, die klein geblieben sind („Zwerggalaxien“), sind bereits im Allgemeinen schwer zu beobachten. Mit der derzeit verfügbaren Technologie sind Beobachtungen ihrer zentralen Regionen, die das zentrale Schwarze Loch in solchen Galaxien nachweisen könnten, äußerst schwierig. Daher gab es bislang zwar einige vielversprechende Kandidaten, aber keinen definitiven Nachweis eines solchen mittelschweren Schwarzen Lochs.
Momentaufnahme der Galaxien-Evolution
Omega Centauri ist daher etwas ganz Besonderes. Als Kern einer ehemals selbstständigen Galaxie, die dann mit der Milchstraße verschmolz und dabei alle Sterne außer jenen der Kernregion verlor, wäre Omega Centauri eine Art Momentaufnahme der Galaxien-Evolution. Es gäbe keine weiteren Verschmelzungen und keine Möglichkeit für das zentrale Schwarze Loch, zu wachsen. Das Schwarze Loch bliebe in der Größe erhalten, die es hatte, als Omega Centauri von der Milchstraße verschluckt wurde: als das bislang fehlende Bindeglied zwischen frühen massearmen Schwarzen Löchern und den späteren supermassereichen Schwarzen Löchern.
Bevor man so argumentieren kann, muss man das zentrale Schwarze Loch in Omega Centauri aber überhaupt erst einmal nachweisen. Bislang gab es zwar Hinweise darauf aus großräumigen Modellen der Bewegung von Sternen in dem Haufen, aber die ließen Raum für Zweifel. Möglicherweise gibt es gar kein zentrales Schwarzes Loch.
Die Nadel im Archiv-Heuhaufen
Als Nadine Neumayer, Gruppenleiterin am Max-Planck-Institut für Astronomie, und Anil Seth von der Universität Utah im Jahr 2019 ein Forschungsprojekt zum besseren Verständnis der Entstehungsgeschichte von Omega Centauri entwarfen, wurde ihnen klar, wie sich die Frage nach dem zentralen Schwarzen Loch des Haufens ein für alle Mal klären ließe: Gelänge es, direkt im Zentrum schnell bewegte Sterne zu identifizieren, ließe sich mit deren Hilfe nicht nur die Existenz des Schwarzen Lochs belegen, sondern auch dessen Masse bestimmen.
An die mühsame Suche nach solchen Sternen machte sich Maximilian Häberle, ein Doktorand am Max-Planck-Institut für Astronomie. Häberle war federführend bei der Erstellung eines riesigen Katalogs für die Bewegungen der Sterne in Omega Centauri. Er bestimmte anhand von über 500 Archivbildern des Weltraumteleskops Hubble die Geschwindigkeiten von 1,4 Millionen Sternen. Die meisten der Bilder waren nicht für wissenschaftliche Zwecke erstellt worden, sondern für die Kalibrierung von Instrumenten des Weltraumteleskops. Aber mit ihrem immer wieder wiederholten Blick auf Omega Centauri lieferten sie die ideale Datenbasis für die Suche.
Häberle sagt: „Die Suche nach schnellen Sternen und die Dokumentation ihrer Bewegung war die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen.“ Doch am Ende hatte Häberle nicht nur den bisher vollständigsten Katalog der Bewegung von Sternen in Omega Centauri (veröffentlicht in einem separaten Artikel). Er hatte außerdem gleich sieben Nadeln in seinem Archiv-Heuhaufen gefunden: sieben verräterische, sich schnell bewegende Sterne in einer kleinen Region im Zentrum von Omega Centauri.
Entdeckung eines Schwarzen Lochs
Schnell bewegte Sterne finden sich typischerweise in der Nähe konzentrierter Massenansammlungen. Allerdings ist es bei einem einzelnen Stern unmöglich zu sagen, ob er schnell ist, weil die zentrale Masse groß ist oder weil er sich sehr nahe an der zentralen Masse befindet – oder ob jener Stern vielleicht einfach nur so schnurgerade und schnell vorbeifliegt. Anhand von sieben solchen Sternen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Bewegungsrichtungen konnten Häberle und seine Kollegen jedoch die unterschiedlichen Effekte trennen und feststellen, dass sich im Zentrum von Omega Centauri eine Masse mit mindestens 8.200 Sonnenmassen befindet. Die Bilder zeigen kein sichtbares Objekt an der vermuteten Stelle dieser zentralen Masse, genau wie man es für ein Schwarzes Loch erwartet.
Durch die breitere Analyse konnte Häberle nicht nur die Geschwindigkeiten seiner sieben Hochgeschwindigkeitssterne bestimmen. Sie grenzte auch den Ort ein, an dem sich die zentrale Region mit einem Durchmesser von 3 Lichtmonaten (auf Bildern 3 Bogensekunden) in Omega Centauri befindet. Außerdem verschaffte die Untersuchung den Forscher*innen statistische Sicherheit: Ein einzelner, sehr schneller Stern auf dem Bild gehört möglicherweise gar nicht zu Omega Centauri. Es könnte sich um einen Stern außerhalb des Haufens handeln, der zufällig direkt hinter oder vor dem Zentrum von Omega Centauri vorbeiflitzt. Die Beobachtung von sieben solcher Sterne kann jedoch kein Zufall sein und lässt keinen Raum für andere Erklärungen als ein Schwarzes Loch.
Endlich ein Schwarzes Loch mittlerer Masse
Neumayer sagt: „Bei früheren Studien der Zentralregionen von Omega Centauri konnte man jeweils kritisch nachfragen: Wo sind denn die Hochgeschwindigkeitssterne? Jetzt haben wir die Antwort, und die Bestätigung, dass Omega Centauri tatsächlich ein mittelgroßes Schwarzes Loch enthält. Mit einer Entfernung von etwa 18.000 Lichtjahren ist dies das nächstgelegene bekannte Beispiel für ein massereiches Schwarzes Loch.“ (Das supermassereiche Schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße befindet sich rund 27.000 Lichtjahre von der Erde entfernt.) Der jetzige Fund hat nicht nur die besten Chancen, die jahrzehntelange Debatte um die Existenz eines mittelschweren Schwarzen Lochs in Omega Centauri zu einem Ende zu bringen. Er liefert auch den bislang sichersten Hinweis auf die Existenz solcher mittelschweren Schwarzen Löcher allgemein.
Auf Basis ihrer Ergebnisse planen Neumayer, Häberle und Kolleg*innen, das Zentrum von Omega Centauri noch genauer zu untersuchen. Sie haben dazu bereits Beobachtungszeit mit dem Weltraumteleskop JWST eingeworben, um die Bewegung der schnellen Sterne auf die Erde zu oder von ihr weg zu messen (Radialgeschwindigkeiten). Mit derzeit im Bau befindlichen neuen Instrumenten (GRAVITY+ am VLT der ESO, MICADO am Extremely Large Telescope) wird es möglich sein, Sternpositionen noch deutlich genauer zu bestimmen als mit Hubble. Langfristig möchten die Forscher*innen die Beschleunigung der Sternbewegung messen, die Krümmung der Sternbahnen. Jene Sterne einmal entlang ihrer gesamten Umlaufbahn zu verfolgen, wie bei den nobelpreisgekrönten Beobachtungen von Sternen um das Schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße, ist jedoch ein astronomisches Generationenprojekt. Die geringere Masse des Schwarzen Lochs bei Omega Centauri bedeutet zehnmal größere Zeitskalen als im Zentrum der Milchstraße: Umlaufzeiten von mehr als hundert Jahren.
MP
Hintergrundinformationen
Die hier beschriebene Arbeit wurde unter dem Titel M. Häberle et al. „Fast-moving stars around an intermediate-mass black hole in ω Centauri“ in der Zeitschrift Nature veröffentlicht. Die zugrundeliegenden Katalogdaten sind als M. Häberle et al., „oMEGACat II – Photometry and proper motions for 1.4 million stars in Omega Centauri and its rotation in the plane of the sky“ zur Veröffentlichung im Astrophysical Journal akzeptiert.
Die beteiligten MPIA-Wissenschaftler sind Maximilian Häberle, Nadine Neumayer, Antoine Dumont, Callie Clontz (auch University of Utah), Anja Feldmeier-Krause (auch Universität Wien) und Maria Selina Nitschai,
in Zusammenarbeit mit
Anil Seth (University of Utah), Andrea Bellini (Space Telescope Science Institute), Mattia Libralato (ESA und INAF Padova), Holger Baumgardt (The University of Queensland), Matthew Whitaker (University of Utah), Mayte Alfaro Cuello (Universidad Central de Chile), Jay Anderson (Space Telescope Science Institute), Nikolay Kacharov (Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam), Sebastian Kamann (Liverpool John Moores University), Antonino Milone (University of Padova), Renuka Pechetti (Liverpool John Moores University) und Glenn van de Ven (Universität Wien).
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