„Schwarzloch-Sterne“ könnten Rätsel um frühe Galaxien lösen

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Ein neu ent­deck­tes Objekt, das Astro­nom­in­nen und Astro­no­men „The Cliff“ (die Klip­pe) getauft haben, könn­te ein Rät­sel lösen, das sich aus Beob­ach­tun­gen des frü­hen Uni­ver­sums mit dem James-Webb-Welt­raum­te­le­skop (JWST) ergibt. Es betrifft eine Popu­la­ti­on von weit ent­fern­ten, hel­len Objek­ten, die „klei­ne rote Punk­te“ genannt wer­den: Han­del­te es sich dabei um jun­ge Gala­xien, wäre deren beträcht­li­che Mas­se mit den aktu­el­len Model­len der kos­mi­schen Evo­lu­ti­on schwer zu erklä­ren. „The Cliff“ legt eine ande­re Lösung nahe: Klei­ne rote Punk­te sind super­mas­se­rei­che Schwar­ze Löcher, ein­ge­bet­tet in eine dicke Gas­hül­le. Die For­schen­den bezeich­nen die­se neue Klas­se von Objek­ten als „Schwarz­loch-Stern“.

Schwarzloch-Stern
Künst­le­ri­sche Dar­stel­lung eines Schwarz­loch-Sterns (nicht maß­stabs­ge­treu). In der Abbil­dung wur­de ein keil­för­mi­ger Teil der Gas­hül­le des Objekts her­aus­ge­nom­men. So wird das zen­tra­le Schwar­ze Loch mit sei­ner umge­ben­den Akkre­ti­ons­schei­be sicht­bar. – Cre­dit: © MPIA/HdA/T. Müller/A. de Graaff

Im Som­mer 2022, weni­ger als einen Monat nach­dem das James-Webb-Welt­raum­te­le­skop (JWST) sei­ne ers­ten wis­sen­schaft­li­chen Bil­der gelie­fert hat­te, fiel Astro­nom­in­nen und Astro­no­men in JWST-Beob­ach­tun­gen eine unge­wöhn­li­che neue Art von Objekt auf: extrem kom­pak­te, röt­li­che Him­mels­ob­jek­te, von denen es eine beträcht­li­che Anzahl zu geben schien. Das JWST hat­te offen­bar eine ganz neue Popu­la­ti­on astro­no­mi­scher Objek­te ent­deckt, die dem Hub­ble-Welt­raum­te­le­skop ent­gan­gen war und auf den deskrip­ti­ven Namen „klei­ne rote Punk­te“ (litt­le red dots) getauft wur­de. Wor­um es sich bei die­sen Objek­ten han­delt, war lan­ge rät­sel­haft. Jetzt stüt­zen neue Beob­ach­tun­gen einer Grup­pe von Astro­no­men unter der Lei­tung von Anna de Graaff vom Max-Planck-Insti­tut für Astro­no­mie einen neu­ar­ti­gen Lösungs­an­satz: es dürf­te sich um super­mas­se­rei­che Schwar­ze Löcher han­deln, deren Erschei­nungs­bild auf­grund eines unge­wöhn­li­chen Gas­man­tel in bestimm­ter Wei­se dem von ein­zel­nen Ster­nen ähnelt.

Kleine rote Punkte im Infrarotbereich

Dass die klei­nen roten Punk­te nicht bereits vom Hub­ble-Welt­raum­te­le­skop gefun­den wor­den waren, kam dabei nicht über­ra­schend. Rot sind in der Astro­no­mie Objek­te, die über­wie­gend Licht bei län­ge­ren Wel­len­län­gen aus­sen­den. Die klei­nen roten Punk­te sen­den über­wie­gend Licht bei Wel­len­län­gen von mehr als 10 Mikro­me­tern im mitt­le­ren Infra­rot­be­reich aus. Hub­ble kann bei so lan­gen Wel­len­län­gen nicht beob­ach­ten. Das JWST hin­ge­gen ist für die­sen Wel­len­län­gen­be­reich ausgelegt.

Wei­te­re Beob­ach­tun­gen zeig­ten, dass die betref­fen­den Objek­te sehr weit von uns ent­fernt sind. Selbst das Licht der nächst­ge­le­ge­nen Exem­pla­re hat 12 Mil­li­ar­den Jah­re gebraucht, um uns zu errei­chen. Astro­nom­in­nen und Astro­no­men bli­cken immer in die Ver­gan­gen­heit, und wenn wir ein Objekt sehen, des­sen Licht 12 Mil­li­ar­den Jah­re gebraucht hat, um uns zu errei­chen, dann sehen wir jenes Objekt so, wie es vor 12 Mil­li­ar­den Jah­ren war, nur 1,8 Mil­li­ar­den Jah­re nach dem Urknall.

Unerklärliche junge, massereiche Galaxien?

An die­ser Stel­le wur­de es pro­ble­ma­tisch. Um astro­no­mi­sche Beob­ach­tun­gen inter­pre­tie­ren zu kön­nen, benö­tigt man ein Modell des betref­fen­den Objekts. Iden­ti­fi­zie­ren Astro­no­men in ihren Daten ein Objekt z.B. als Stern, dann steckt hin­ter die­ser Aus­sa­ge eine Men­ge an Vor­wis­sen. Ver­läss­lich ist eine sol­che Iden­ti­fi­ka­ti­on, weil For­schen­de über soli­de, viel­fach getes­te­te phy­si­ka­li­sche Model­le dafür ver­fü­gen, was ein Stern ist – ver­kürzt gesagt, ein rie­si­ger Plas­ma­ball, der durch sei­ne eige­ne Schwer­kraft zusam­men­ge­hal­ten wird und in sei­nen Zen­tral­re­gio­nen durch Kern­fu­si­on Ener­gie frei­setzt. Aus die­sen Model­len ergibt sich sowohl, wie Ster­ne auf astro­no­mi­schen Auf­nah­men erschei­nen als auch wel­che Eigen­schaf­ten ihre Spek­tren haben, also die regen­bo­gen­ar­ti­gen Zer­le­gun­gen ihres Lichts nach den unter­schied­li­chen Wel­len­län­gen. Das sind die Vor­aus­set­zun­gen dafür, dass man für ein Objekt mit dem rich­ti­gen Aus­se­hen und dem rich­ti­gen Spek­trum mit gro­ßer Sicher­heit sagen kann, dass es sich um einen Stern handelt.

Die klei­nen roten Punk­te dage­gen schie­nen in kei­ne der übli­chen Kate­go­rien für so fer­ne und leucht­star­ke Objek­te zu pas­sen. Ent­spre­chend mach­ten sich die Astro­no­men dar­an, jen­seits der übli­chen Objekt­klas­sen nach Mög­lich­kei­ten zu suchen. Eine der ers­ten Inter­pre­ta­tio­nen war eine ech­te Sen­sa­ti­on: Sie sah die klei­nen roten Punk­te als Gala­xien an, die extrem reich an Ster­nen waren, und deren Licht durch rie­si­ge Men­gen an Staub in ihrer Umge­bung röt­lich ein­ge­färbt war. Wür­den wir in unse­rer eige­nen kos­mi­schen Nach­bar­schaft, rund um unser Son­nen­sys­tem, einen Wür­fel mit einer Sei­ten­län­ge von einem Licht­jahr kon­stru­ie­ren, dann ent­hiel­te jener Wür­fel nur einen ein­zi­gen Stern, näm­lich unse­re Son­ne. In den extrem stern­rei­chen Gala­xien, die zur Erklä­rung der klei­nen roten Punk­te pos­tu­liert wur­den, wür­de ein Wür­fel die­ser Grö­ße dage­gen meh­re­re hun­dert­tau­send Ster­ne enthalten.

In unse­rer Hei­mat­ga­la­xie, der Milch­stra­ße, ist der ein­zi­ge Bereich, der eine sol­che Ster­nen­dich­te auf­weist, der zen­tra­le Kern, und auch dort ist die Anzahl der Ster­ne pro Licht­jahr-Wür­fel nur ein Tau­sends­tel so groß wie es für die klei­nen roten Punk­te vor­ge­schla­gen wor­den war. Die schie­re Anzahl der betei­lig­ten Ster­ne, die weni­ger als eine Mil­li­ar­de Jah­re nach dem Urknall bereits Hun­der­te von Mil­li­ar­den Son­nen­mas­sen aus­mach­te, warf wich­ti­ge Fra­gen hin­sicht­lich des grund­le­gen­den Ver­ständ­nis­ses der Gala­xien­ent­wick­lung durch Astro­no­men auf: Konn­ten wir über­haupt erklä­ren, wie die­se Gala­xien so schnell so vie­le Ster­ne her­vor­brin­gen konn­ten? Bing­jie Wang (Penn Sta­te Uni­ver­si­ty), Koau­tor des jetzt erschie­ne­nen Fach­ar­ti­kels, sagt: „Der Nacht­him­mel einer sol­chen Gala­xie wäre blen­dend hell. Wenn die­se Inter­pre­ta­ti­on zutrifft, müss­ten jene Ster­ne durch außer­ge­wöhn­li­che Pro­zes­se ent­stan­den sein, die noch nie zuvor beob­ach­tet wurden.“

Oder doch aktive Galaxienkerne?

Die betref­fen­de Inter­pre­ta­ti­on der klei­nen roten Punk­te blieb ent­spre­chend umstrit­ten. Nach und nach bil­de­ten sich unter den For­schen­den zwei Lager her­aus: Die eine Grup­pe bevor­zug­te die Inter­pre­ta­ti­on „vie­le Ster­ne plus Staub“, die ande­re sah die klei­nen roten Punk­te dage­gen als akti­ve Gala­xien­ker­ne, die jedoch eben­falls durch reich­lich Staub ver­deckt waren. Akti­ve Gala­xien­ker­ne ent­ste­hen, wenn ein ste­ti­ger Strom von Mate­rie auf das zen­tra­le super­mas­se­rei­che Schwar­ze Loch einer Gala­xie fällt und sich dadurch eine extrem hei­ße, soge­nann­te Akkre­ti­ons­schei­be um das Schwar­ze Loch bildet.

Auch die­se zwei­te Inter­pre­ta­ti­on hat­te ihre Tücken. Es gibt deut­li­che Unter­schie­de zwi­schen den Spek­tren der klei­nen roten Punk­te und denen der staub­rei­chen akti­ven Gala­xien­ker­ne, die Astro­no­men bis dahin beob­ach­tet hat­ten. Dar­über hin­aus wür­de die­se Inter­pre­ta­ti­on extrem gro­ße Mas­sen für die super­mas­se­rei­chen Schwar­zen Löcher im Zen­trum die­ser Objek­te erfor­dern – und über­ra­schend vie­le sol­cher mas­se­rei­chen Schwar­zen Löcher, ange­sichts der gro­ßen Anzahl klei­ner roter Punk­te, die JWST im frü­hen Uni­ver­sum gefun­den hatte.

Einig­keit bestand ledig­lich dar­über, dass eine Lösung des Rät­sels mehr und neu­ar­ti­ge Beob­ach­tungs­da­ten erfor­dern wür­de. Die ursprüng­li­chen JWST-Beob­ach­tun­gen hat­ten Bil­der gelie­fert. Um die ver­schie­de­nen phy­si­ka­li­sche Inter­pre­ta­tio­nen auf die Pro­be zu stel­len, benö­ti­gen Astro­nom­in­nen und Astro­no­men Spek­tren: detail­lier­te Infor­ma­tio­nen dar­über, wie viel Licht ein Objekt bei ver­schie­de­nen Wel­len­län­gen aus­sen­det. Ganz all­ge­mein gilt: Bei den bes­ten Tele­sko­pen herrscht ein erheb­li­cher Wett­be­werb um Beob­ach­tungs­zeit. Als klar wur­de, wie inter­es­sant die klei­nen roten Punk­te waren, bean­trag­ten zahl­rei­che Astro­no­men welt­weit Beob­ach­tungs­zeit, um sie genau­er zu unter­su­chen. Ein sol­cher Antrag war das RUBIES-Pro­gramm, das von Anna de Graaff am Max-Planck-Insti­tut für Astro­no­mie (MPIA) in Hei­del­berg und einem inter­na­tio­na­len Team von Kol­le­gen ent­wi­ckelt wur­de. Die Abkür­zung steht für „Red Unknowns: Bright Infrared Extra­ga­lac­tic Sur­vey” (Rote Unbe­kann­te: Hel­le Infra­rot-Extra­ga­lak­ti­sche Unter­su­chung), hat aber natür­lich ganz bewusst den Anklang an Rubi­ne, engl. rubies.

Die fernen Schätze von RUBIES

Der RUBIES-Antrag auf Beob­ach­tungs­zeit mit dem JWST war erfolg­reich. Zwi­schen Janu­ar und Dezem­ber 2024 nutz­te das Team fast 60 Stun­den JWST-Zeit, um Spek­tren von ins­ge­samt 4.500 ent­fern­ten Gala­xien zu gewin­nen – einer der größ­ten spek­tro­sko­pi­schen Daten­sät­ze, der bis­her mit dem JWST erstellt wur­de. Rapha­el Hvi­ding (MPIA), der an RUBIES betei­ligt ist, sagt: „In die­sem Daten­satz fan­den wir 35 klei­ne rote Punk­te. Die meis­ten davon waren bereits anhand öffent­lich zugäng­li­cher JWST-Bil­der ent­deckt wor­den. Aber gera­de die neu ent­deck­ten Objek­te erwie­sen sich als beson­de­res extre­me und fas­zi­nie­ren­de Ver­tre­ter ihrer Art.“ Am inter­es­san­tes­ten war das Spek­trum eines Objekts, das die For­schen­den im Juli 2024 ent­deck­ten und auf den Namen „The Cliff“ (die Klip­pe) tauf­ten. Dabei schien es sich um einen beson­de­ren Ver­tre­ter der klei­nen roten Punk­te zu han­deln – und gera­de des­halb um einen viel­ver­spre­chen­den Test­fall für Inter­pre­ta­tio­nen des­sen, was klei­ne rote Punk­te eigent­lich sind. The Cliff ist so weit von uns ent­fernt, dass sein Licht 11,9 Mil­li­ar­den Jah­re brauch­te, um uns zu errei­chen (Rot­ver­schie­bung z=3,55).

Der Name des Objekts lei­tet sich von dem auf­fäl­ligs­ten Merk­mal sei­nes Spek­trums ab: einem stei­len Anstieg der Strah­lungs­leis­tung im ultra­vio­let­ten Bereich, bei Wel­len­län­gen, die nur gering­fü­gig kür­zer sind als die des vio­let­ten sicht­ba­ren Lichts. Für die Beob­ach­tun­gen liegt jener star­ke Anstieg aller­dings nicht im UV- son­dern im Nahin­fra­rot­be­reich: Die Expan­si­on unse­res Uni­ver­sums führt dazu, dass Wel­len­län­gen für ein so weit ent­fern­tes Objekt wie „The Cliff“ in unse­ren Beob­ach­tun­gen fast fünf Mal so lang sind wie bei der Aus­sendung des Lichts durch die fer­ne Galaxie.

Die­se Art von stei­lem Anstieg bei den betref­fen­den Wel­len­län­gen wird als „Bal­mer-Break“ bezeich­net. Bal­mer-Breaks fin­den sich im Spek­trum gewöhn­li­cher Gala­xien, und zwar typi­scher­wei­se in sol­chen Gala­xien, die bis kurz zuvor noch neue Ster­ne gebil­det haben, in denen inner­halb der letz­ten 100 Mil­lio­nen Jah­re aber nur weni­ge bis gar kei­ne neu­en Ster­ne ent­stan­den sind. Im Fal­le sol­cher Gala­xien ist der Anstieg jedoch weit weni­ger steil als bei „The Cliff“.

Eine merkwürdige Ähnlichkeit mit Einzelsternen

Mit die­sem unüber­seh­ba­ren, unge­wöhn­li­chen Merk­mal schien The Cliff zu kei­ner der Inter­pre­ta­tio­nen zu pas­sen, die bis dahin für klei­ne rote Punk­te vor­ge­schla­gen wor­den waren. Aber de Graaff und ihre Kol­le­gen woll­ten sicher­ge­hen. Sie kon­stru­ier­ten ver­schie­de­ne Vari­an­ten aller Model­le, in denen klei­ne rote Punk­te ent­we­der als mas­se­rei­che stern­bil­den­de Gala­xien oder als staubum­hüll­te akti­ve Gala­xien­ker­ne model­liert wer­den, ver­such­ten, ob sich das Spek­trum von The Cliff mit den jewei­li­gen Model­len repro­du­zie­ren ließ, aber schei­ter­ten jedes Mal.

Anna de Graaff sagt: „Die extre­men Eigen­schaf­ten von The Cliff zwan­gen uns, noch ein­mal von vor­ne anzu­fan­gen und völ­lig neue Model­le zu ent­wi­ckeln.“ Zu die­sem Zeit­punkt war in der Fach­dis­kus­si­on bereits die Idee auf­ge­kom­men, dass Bal­mer-Breaks in einem Spek­trum mög­li­cher­wei­se auf etwas ande­res als Ster­ne zurück­zu­füh­ren sind – das hat­ten zwei For­scher aus Chi­na und Groß­bri­tan­ni­en im Sep­tem­ber 2024 vor­ge­schla­gen. De Graaff und ihre Kol­le­gen hat­ten zu jener Zeit bereits selbst begon­nen, sich über etwas sehr Ähn­li­ches Gedan­ken zu machen: Bal­mer-Breaks fin­den sich sowohl im Spek­trum ein­zel­ner, sehr hei­ßer, jun­ger Ster­ne als auch im Spek­trum von Gala­xien, die eine aus­rei­chen­de Anzahl sol­cher sehr hei­ßer, jun­ger Ster­ne ent­hal­ten. Selt­sa­mer­wei­se ähnel­te The Cliff eher dem Spek­trum eines ein­zel­nen Sterns als dem einer gan­zen Galaxie.

Schwarzloch-Sterne als mögliche Erklärung

Auf die­ser Grund­la­ge ent­wi­ckel­ten de Graaff und ihre Kol­le­gen ein Modell, das eini­ge von ihnen als „Schwarz­loch-Stern“ bezeich­nen, abge­kürzt als BH* (mit BH für black hole, Schwar­zes Loch, und dem Stern­sym­bol). Im Inne­ren eines Schwarz­loch-Sterns sitzt ein akti­ver galak­ti­scher Kern, also ein super­mas­se­rei­ches Schwar­zes Loch mit einer Akkre­ti­ons­schei­be. Die­ses Zen­tral­ob­jekt ist jedoch nicht von Staub umge­ben, son­dern von einer dicken Hül­le aus Was­ser­stoff­gas. Das BH* ist kein Stern im enge­ren Sin­ne, da in sei­ner Zen­tral­re­gi­on kei­ne Kern­fu­si­ons­re­ak­tio­nen statt­fin­den. Außer­dem wir­belt das Gas in der Hül­le viel hef­ti­ger durch­ein­an­der (es gibt viel stär­ke­re Tur­bu­len­zen) als in jeder gewöhn­li­chen Sternat­mo­sphä­re. Die grund­le­gen­de Phy­sik jedoch ist ähn­lich: Der akti­ve Gala­xien­kern erwärmt die ihn umge­ben­de Gasum­hül­lung, genau wie das durch Kern­fu­si­on ange­trie­be­ne Zen­trum eines Sterns die äuße­ren Schich­ten des Sterns erwärmt. Das äuße­re Erschei­nungs­bild eines Schwarz­loch-Sterns und eines her­kömm­li­chen Sterns wei­sen daher deut­li­che Ähn­lich­kei­ten auf.

Die von de Graaff und sei­nen Kol­le­gen zu die­sem Zeit­punkt for­mu­lier­ten Model­le sind Pio­nier­ar­beit, und bei wei­tem noch nicht voll­stän­dig aus­ge­ar­bei­tet. Den­noch beschrei­ben bereits die jet­zi­gen Ver­sio­nen der Schwarz­loch-Stern-Model­le die Daten viel bes­ser als die mög­li­chen Alter­na­ti­ven. Ins­be­son­de­re lässt sich die Form der namens­ge­ben­den Klip­pe im Spek­trum gut erklä­ren, wenn man von einer tur­bu­len­ten, dich­ten, kugel­för­mi­gen Gas­hül­le um einen akti­ven Gala­xien­kern aus­geht. Aus die­ser Per­spek­ti­ve wäre „The Cliff“ ein extre­mes Bei­spiel, bei dem der zen­tra­le Schwarz­loch-Stern die Hel­lig­keit des Objekts domi­niert. Das Licht der ande­ren klei­nen roten Punk­te wäre eine gleich­mä­ßi­ge­re Mischung aus der Strah­lung des zen­tra­len Schwarz­loch-Sterns und dem Licht von Ster­nen und Gas in der den Schwarz­loch-Stern umge­ben­den Galaxie.

Ein neuer Mechanismus für die schnelle frühe Galaxienentstehung?

Wenn ein Schwarz­loch-Stern tat­säch­lich die Lösung für das Rät­sel der klei­nen roten Punk­te ist, könn­te dies einen wei­te­ren Vor­teil haben. In der Kos­mo­lo­gie hat­ten sich Theo­re­ti­ker Sys­te­me die­ser Art näm­lich durch­aus bereits ein­mal ange­se­hen, aber mit einer ganz ande­ren Moti­va­ti­on: Dort wur­de die Anord­nung mit einem zen­tra­len Schwar­zen Loch und einer umge­ben­den Gas­hül­le als eine Mög­lich­keit ange­se­hen, wie die Mas­se der zen­tra­len Schwar­zen Löcher sehr frü­her Gala­xien beson­ders schnell wach­sen konn­te. Da das JWST ein­deu­ti­ge Hin­wei­se auf höchst mas­se­rei­che Schwar­ze Löcher im frü­hen Uni­ver­sum gefun­den hat, wäre eine Kon­fi­gu­ra­ti­on, die ultra­schnel­les Mas­sen­wachs­tum von Schwar­zen Löchern erklä­ren könn­te, eine will­kom­me­ne Ergän­zung zu den aktu­el­len Model­len der Gala­xien­ent­wick­lung. Ob die super­mas­se­rei­chen Schwarz­loch-Ster­ne das­sel­be leis­ten kön­nen, ist noch unklar, aber wenn ja, wäre dies eine fas­zi­nie­ren­de Erwei­te­rung ihrer Rolle!

So viel­ver­spre­chend all dies klin­gen mag: Grund­le­gen­de Skep­sis ist ange­sichts des neu­en Ergeb­nis­ses durch­aus nicht fehl am Plat­ze. Das Ergeb­nis ist brand­neu. Und auch wenn es mit dem Peer-Review die in der Wis­sen­schaft für Fach­ar­ti­kel übli­che Qua­li­täts­si­che­rung durch­lau­fen hat: Um sagen zu kön­nen, ob Schwarz­loch-Ster­ne ein all­ge­mein akzep­tier­ter Teil unse­rer Model­le für die Ent­wick­lung des frü­hen Uni­ver­sums wer­den, wer­den wir min­des­tens noch eini­ge Jah­re war­ten müssen.

Offene Fragen

Das vor­lie­gen­de Ergeb­nis stellt einen signi­fi­kan­ten Fort­schritt dar: Dies ist das ers­te Modell, das die unge­wöhn­li­che Form von „The Cliff“, näm­lich den Bal­mer-Break im Spek­trum die­ses extre­men Objekts erklä­ren kann. Wie jeder Fort­schritt wirft auch die­ser hier neue, offe­ne For­schungs­fra­gen auf: Wie konn­te sich ein sol­cher Schwarz­loch-Stern über­haupt bil­den? Wie kann die unge­wöhn­li­che Gas­hül­le über einen län­ge­ren Zeit­raum hin­weg sta­bil sein? (Da das Schwar­ze Loch das umge­ben­de Gas ver­schlingt, muss es einen Mecha­nis­mus geben, der die Hül­le „auf­tankt“.) Wie ent­ste­hen die ande­ren Merk­ma­le des Spek­trums von „The Cliff“?

Die Beant­wor­tung die­ser Fra­gen erfor­dert Bei­trä­ge aus der astro­phy­si­ka­li­schen Model­lie­rung, aber auch von wei­te­ren Beob­ach­tun­gen. Ent­spre­chend haben de Graaff und ihr Team bereits eine Zusa­ge für JWST-Beob­ach­tungs­zeit von beson­ders inter­es­san­ten klei­nen roten Punk­ten wie „The Cliff“, die für 2026 geplant sind.

Die­se wei­te­ren Beob­ach­tun­gen soll­ten Auf­schluss dar­über geben, ob Schwarz­loch-Ster­ne tat­säch­lich die Erklä­rung dafür sind, wie die heu­ti­gen Gala­xien zu dem wer­den konn­ten, was sie heu­te sind.

MP

Hintergrundinformationen

Die hier beschrie­be­nen Ergeb­nis­se wur­den zur Ver­öf­fent­li­chung ange­nom­men als A. de Graaff et al., „A remar­kab­le Ruby: Absorp­ti­on in den­se gas, rather than evol­ved stars, dri­ves the extre­me Bal­mer break of a Litt­le Red Dot at z = 3.5” in der Fach­zeit­schrift Astro­no­my & Astro­phy­sics. Der von Rapha­el Hvi­ding ver­fass­te Arti­kel, der die voll­stän­di­ge Stich­pro­be der Litt­le Red Dots im RUBIES-Daten­satz prä­sen­tiert, wur­de zur Ver­öf­fent­li­chung in der­sel­ben Zeit­schrift ange­nom­men. Bei der Über­set­zung die­ses Pres­se­mit­tei­lungs­tex­tes kam als Zwi­schen­schritt DeepL zum Einsatz.

Die betei­lig­ten MPIA-For­scher sind Anna de Graaff, Hans-Wal­ter Rix und Rapha­el E. Hvi­ding in Zusam­men­ar­beit mit Gabe Brammer (Cos­mic Dawn Cen­ter), Jen­ny Gree­ne (Prince­ton Uni­ver­si­ty), Ivo Lab­be (Swin­b­ur­ne Uni­ver­si­ty), Rohan Naidu (MIT), Bing­jie Wang (Penn Sta­te Uni­ver­si­ty und Prince­ton Uni­ver­si­ty) und anderen.

Link zur Pres­se­mit­tei­lung des MPIA

Andreas

Andreas Schnabel war bis zum Ende der Astronomie-Zeitschrift "Abenteuer Astronomie" im Jahr 2018 als Kolumnist tätig und schrieb dort über die aktuell sichtbaren Kometen. Er ist Mitglied der "Vereinigung für Sternfreunde e.V.". Neben Astronomie, betreibt der Autor des Blogs auch Fotografie und zeigt diese Bilder u.a. auf Flickr.

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