Planetenscheiben im frühen Universum leben länger

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Im Jahr 2003 lie­fer­te das Welt­raum­te­le­skop Hub­ble der NASA/ESA den Beweis für einen mas­se­rei­chen Pla­ne­ten um einen sehr alten Stern, der fast so alt ist wie das Uni­ver­sum. Sol­che Ster­ne besit­zen nur gerin­ge Men­gen an schwe­re­ren Ele­men­ten, die die Bau­stei­ne von Pla­ne­ten sind. Dies deu­tet dar­auf hin, dass sich zum Teil Jupi­ter­gro­ße Pla­ne­ten gebil­det haben, als unser Uni­ver­sum noch sehr jung war, und dass die­se Pla­ne­ten Zeit hat­ten, sich aus ihrer über­ra­schend gro­ßen Urschei­be zu bil­den. Aber wie? Das war rätselhaft.

Um die­se Fra­ge zu beant­wor­ten, unter­such­ten For­scher mit­hil­fe des NASA/ESA/CSA James Webb Space Telescope Ster­ne in einer nahe­ge­le­ge­nen Gala­xie, in der es, ähn­lich wie im frü­hen Uni­ver­sum, an gro­ßen Men­gen an schwe­ren Ele­men­ten man­gelt. Sie fan­den her­aus, dass eini­ge Ster­ne dort nicht nur Pla­ne­ten bil­den­de Schei­ben haben, son­dern dass die­se Schei­ben auch lang­le­bi­ger sind als die, die man um jun­ge Ster­ne in unse­rer Milch­stra­ße sieht.

NGC346 JWST
Dies ist eine Auf­nah­me des JWST von NGC 346, einem mas­si­ven Stern­hau­fen in der Klei­nen Magel­lan­schen Wol­ke. Zehn klei­ne gel­be Krei­se, die an ver­schie­de­nen Stel­len des Bil­des ein­ge­blen­det sind, zei­gen die Posi­tio­nen der zehn in die­ser Stu­die unter­such­ten Ster­ne an. – Cre­dit: NASA, ESA, CSA, STScI, O. C. Jones (UK ATC), G. De Mar­chi (ESTEC), M. Meix­ner (USRA)

„Mit Webb haben wir eine wirk­lich star­ke Bestä­ti­gung des­sen, was wir mit Hub­ble gese­hen haben, und wir müs­sen über­den­ken, wie wir die Pla­ne­ten­ent­ste­hung und die frü­he Ent­wick­lung im jun­gen Uni­ver­sum model­lie­ren“, sag­te Stu­di­en­lei­ter Gui­do De Mar­chi vom Euro­päi­schen Zen­trum für Welt­raum­for­schung und ‑tech­no­lo­gie der ESA Noor­dwi­jk, Niederlande.

Eine andere Umgebung in der Frühzeit

In der Früh­zeit des Uni­ver­sums bil­de­ten sich die Ster­ne haupt­säch­lich aus Was­ser­stoff und Heli­um und nur aus weni­gen schwe­re­ren Ele­men­ten wie Koh­len­stoff und Eisen, die erst spä­ter durch Super­no­va-Explo­sio­nen entstanden.

„Aktu­el­le Model­le sagen vor­aus, dass die Schei­ben um Ster­ne mit so weni­gen schwe­re­ren Ele­men­ten nur eine kur­ze Lebens­dau­er haben, und zwar so kurz, dass Pla­ne­ten nicht groß wer­den kön­nen“, sag­te Ele­na Sab­bi, die an der Webb-Stu­die mit­ge­wirkt hat und lei­ten­de Wis­sen­schaft­le­rin des Gemi­ni Obser­va­to­ry am NOIR­Lab der Natio­nal Sci­ence Foun­da­ti­on in Tuc­son ist. „Aber Hub­ble hat die­se Pla­ne­ten gese­hen. Was wäre also, wenn die Model­le nicht kor­rekt wären und die Schei­ben län­ger leben könnten?“

Um die­se Idee zu tes­ten, rich­te­ten die Wis­sen­schaft­ler Webb auf die Klei­ne Magel­lan­sche Wol­ke, eine Zwerg­ga­la­xie, die zu den nächs­ten Nach­barn der Milch­stra­ße gehört. Ins­be­son­de­re unter­such­ten sie den mas­se­rei­chen, stern­bil­den­den Hau­fen NGC 346, der eben­falls einen rela­ti­ven Man­gel an schwe­re­ren Ele­men­ten auf­weist. Der Hau­fen dien­te als nahe gele­ge­ner Stell­ver­tre­ter für die Unter­su­chung stel­la­rer Umge­bun­gen mit ähn­li­chen Bedin­gun­gen im frü­hen, fer­nen Universum.

Spektren
Die­ses Dia­gramm zeigt unten links in gel­ber Far­be ein Spek­trum eines der 10 Ziel­ster­ne die­ser Stu­die (sowie das beglei­ten­de Licht aus der unmit­tel­ba­ren Hin­ter­grund­um­ge­bung). Die spek­tra­len Fin­ger­ab­drü­cke von hei­ßem ato­ma­rem Heli­um, kal­tem mole­ku­la­rem Was­ser­stoff und hei­ßem ato­ma­rem Was­ser­stoff sind her­vor­ge­ho­ben. – Cre­dit: NASA, ESA, CSA, J. Olm­sted (STScI)

Hub­ble-Beob­ach­tun­gen von NGC 346 aus der Mit­te der 2000er-Jah­re brach­ten vie­le etwa 20 bis 30 Mil­lio­nen Jah­re alte Ster­ne zuta­ge, die schein­bar immer noch Pla­ne­ten bil­den­de Schei­ben um sich her­um zu haben schie­nen. Dies wider­sprach der her­kömm­li­chen Annah­me, dass sich sol­che Schei­ben nach zwei oder drei Mil­lio­nen Jah­ren auf­lö­sen würden.

„Die Hub­ble-Ergeb­nis­se waren umstrit­ten, denn sie wider­spra­chen nicht nur empi­ri­schen Bewei­sen in unse­rer Gala­xie, son­dern auch den gän­gi­gen Model­len“, so De Mar­chi. „Das war fas­zi­nie­rend, aber ohne eine Mög­lich­keit, Spek­tren die­ser Ster­ne zu erhal­ten, konn­ten wir nicht wirk­lich fest­stel­len, ob wir Zeu­gen ech­ter Akkre­ti­on und des Vor­han­den­seins von Schei­ben oder nur künst­li­cher Effek­te waren.“

Dank Webbs Emp­find­lich­keit und Auf­lö­sung ver­fü­gen Wis­sen­schaft­ler nun über die ers­ten Spek­tren sich bil­den­der, son­nen­ähn­li­cher Ster­ne und ihrer unmit­tel­ba­ren Umge­bung in einer nahe­ge­le­ge­nen Galaxie.

„Wir sehen, dass die­se Ster­ne tat­säch­lich von Schei­ben umge­ben sind und selbst im rela­tiv hohen Alter von 20 oder 30 Mil­lio­nen Jah­ren immer noch dabei sind, Mate­ri­al zu ver­schlin­gen“, sag­te De Mar­chi. „Das bedeu­tet auch, dass Pla­ne­ten um die­se Ster­ne her­um mehr Zeit haben, sich zu bil­den und zu wach­sen, als in nahe­ge­le­ge­nen Stern­ent­ste­hungs­re­gio­nen unse­rer eige­nen Galaxie.“

Eine neue Art des Denkens

Die­se Erkennt­nis wider­legt frü­he­re theo­re­ti­sche Vor­her­sa­gen, wonach der Stern die Schei­be sehr schnell weg­bla­sen wür­de, wenn nur weni­ge schwe­re­re Ele­men­te im Gas um die Schei­be vor­han­den sind. Die Lebens­dau­er der Schei­be wäre also sehr kurz, sogar weni­ger als eine Mil­li­on Jah­re. Wenn aber eine Schei­be nicht lan­ge genug um den Stern her­um bleibt, damit die Staub­kör­ner zusam­men­kle­ben und grö­ße­re Bro­cken bil­den, die zum Kern eines Pla­ne­ten wer­den, wie kön­nen sich dann Pla­ne­ten bilden?

Die For­scher erklär­ten, dass es zwei ver­schie­de­ne Mecha­nis­men oder sogar eine Kom­bi­na­ti­on davon geben könn­te, damit sich Pla­ne­ten bil­den­de Schei­ben in Umge­bun­gen mit wenig schwe­re­ren Ele­men­ten hal­ten kön­nen. Um die Schei­be weg­bla­sen zu kön­nen, übt der Stern zunächst Strah­lungs­druck aus. Damit die­ser Druck wirk­sam ist, müss­ten sich im Gas Ele­men­te befin­den, die schwe­rer als Was­ser­stoff und Heli­um sind. Doch der mas­se­rei­che Stern­hau­fen NGC 346 ent­hält nur etwa zehn Pro­zent der schwe­re­ren Ele­men­te, die in der che­mi­schen Zusam­men­set­zung unse­rer Son­ne vor­kom­men. Viel­leicht dau­ert es ein­fach län­ger, bis ein Stern in die­sem Stern­hau­fen sei­ne Schei­be auflöst.

Die zwei­te Mög­lich­keit besteht dar­in, dass ein son­nen­ähn­li­cher Stern bei weni­gen schwe­re­ren Ele­men­ten aus einer grö­ße­ren Gas­wol­ke ent­ste­hen müss­te. Eine grö­ße­re Gas­wol­ke erzeugt eine grö­ße­re Schei­be. Es gibt also mehr Mas­se in der Schei­be und daher wür­de es län­ger dau­ern, die Schei­be weg­zu­bla­sen, selbst wenn der Strah­lungs­druck auf die glei­che Wei­se wir­ken würde.

„Wenn mehr Mate­rie um die Ster­ne her­um ist, dau­ert die Akkre­ti­on län­ger“, sagt Sab­bi. „Die Schei­ben brau­chen zehn­mal län­ger, um zu ver­schwin­den. Das hat Aus­wir­kun­gen dar­auf, wie sich ein Pla­net bil­det und wel­che Art von Auf­bau man in die­sen unter­schied­li­chen Umge­bun­gen haben kann. Das ist sehr aufregend.“

Die Arbeit des wis­sen­schaft­li­chen Teams erscheint in der Aus­ga­be des Astro­phy­si­cal Jour­nal vom 16. Dezem­ber 2024.

Hintergrundinformationen

Webb ist das größ­te und leis­tungs­stärks­te Tele­skop, das jemals ins All geschos­sen wur­de. Im Rah­men eines inter­na­tio­na­len Koope­ra­ti­ons­ab­kom­mens hat die ESA den Start des Tele­skops mit der Trä­ger­ra­ke­te Aria­ne 5 durch­ge­führt. In Zusam­men­ar­beit mit ihren Part­nern war die ESA für die Ent­wick­lung und Qua­li­fi­zie­rung der Aria­ne-5-Anpas­sun­gen für die Webb-Mis­si­on sowie für die Beschaf­fung des Start­ser­vices durch Aria­nespace ver­ant­wort­lich. Die ESA stell­te auch den Arbeits­spek­tro­gra­phen NIR­Spec und 50 % des Instru­ments für das mitt­le­re Infra­rot (MIRI) zur Ver­fü­gung, das von einem Kon­sor­ti­um aus natio­nal finan­zier­ten euro­päi­schen Insti­tu­ten (dem MIRI Euro­pean Con­sor­ti­um) in Zusam­men­ar­beit mit dem JPL und der Uni­ver­si­tät von Ari­zo­na ent­wi­ckelt und gebaut wurde.

Webb ist eine inter­na­tio­na­le Part­ner­schaft zwi­schen der NASA, der ESA und der kana­di­schen Welt­raum­be­hör­de (CSA).

Links

Link zur ESA-Pres­se­mit­tei­lung weic2430

Andreas

Andreas Schnabel war bis zum Ende der Astronomie-Zeitschrift "Abenteuer Astronomie" im Jahr 2018 als Kolumnist tätig und schrieb dort über die aktuell sichtbaren Kometen. Er ist Mitglied der "Vereinigung für Sternfreunde e.V.". Neben Astronomie, betreibt der Autor des Blogs auch Fotografie und zeigt diese Bilder u.a. auf Flickr.

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