Webb beobachtet riesigen stellaren Jet am Rande der Milchstraße

  • Letz­te Ände­rung:2 Wochen 
  • Lese­zeit:6Minu­ten
  • Wör­ter:1355
  • Bei­trags­auf­ru­fe:217

Am Rand unse­rer Milch­stra­ße sen­det ein jun­ger Stern, der sich noch in sei­ner Ent­ste­hungs­pha­se befin­det, ein Signal in Form eines rie­si­gen stel­la­ren Jets an das Uni­ver­sum. Die hei­ßen Gase die­ses Jets erstre­cken sich über eine Ent­fer­nung von 8 Licht­jah­ren – fast dop­pelt so weit wie die Ent­fer­nung zwi­schen unse­rer Son­ne und dem nächs­ten Stern­sys­tem. Über­hitz­te Gase, die auf den mas­se­rei­chen Stern fal­len, wer­den ent­lang der Rota­ti­ons­ach­se des Sterns zurück ins All geschleu­dert. Star­ke Magnet­fel­der bün­deln die­se Jets. Das James-Webb-Welt­raum­te­le­skop der NASA/ESA/CSA hat die­ses Spek­ta­kel im Infra­rot­licht beob­ach­tet. Die Jets pflü­gen sich durch den inter­stel­la­ren Staub und Gas und erzeu­gen fas­zi­nie­ren­de Details, die nur das James-Webb-Welt­raum­te­le­skop ein­an­gen konnte.

Webb hat einen Strahl aus bro­deln­den Gasen ein­ge­fan­gen, der aus einem wach­sen­den Mons­ter­stern aus­tritt. Mit einer Aus­deh­nung von 8 Licht­jah­ren ist die Län­ge die­ser Ster­n­erup­ti­on etwa dop­pelt so groß wie die Ent­fer­nung zwi­schen unse­rer Son­ne und dem nahe gele­ge­nen Alpha-Cen­tau­ri-Sys­tem. Die schie­re Grö­ße und Stär­ke die­ses beson­de­ren Ster­nen­jets, bekannt als Shar­pless 2–284 (Sh2-284), machen ihn laut For­schern zu einer Seltenheit.

Sh2-284
Das JWST einen extrem gro­ßen Ster­nen­jet am Ran­de unse­rer Milch­stra­ße im Pro­to-Clus­ter Sh2-284 abge­bil­det. Die­ses Herbig-Haro-Objekt (HH) besteht aus Plas­ma­jets, die aus neu ent­stan­de­nen Ster­nen schie­ßen. Es hat einen Durch­mes­ser von acht Licht­jah­ren. Das ent­spricht etwa der dop­pel­ten Ent­fer­nung unse­rer Son­ne zu ihrem nächst­ge­le­ge­nen Ster­nen­sys­tem, Alpha Cen­tau­ri. – Cre­dit: NASA, ESA, CSA, STScI, Y. Cheng (NAOJ), J. DePas­qua­le (STScI)

Der Aus­fluss rast mit einer Geschwin­dig­keit von Hun­dert­tau­sen­den von Kilo­me­tern pro Stun­de durch den Welt­raum. Der zen­tra­le Pro­tos­tern, der so viel wie zehn unse­rer Son­nen wiegt, befin­det sich 15.000 Licht­jah­re ent­fernt am Ran­de unse­rer Gala­xie im Stern­bild Einhorn.

Die Ent­de­ckung durch Webb war ein glück­li­cher Zufall. „Wir wuss­ten vor der Beob­ach­tung nicht, dass es da drau­ßen einen mas­se­rei­chen Stern mit einem der­ar­ti­gen Super­jet gibt. Ein solch spek­ta­ku­lä­rer Aus­fluss von mole­ku­la­rem Was­ser­stoff aus einem mas­se­rei­chen Stern ist in ande­ren Regio­nen unse­rer Gala­xie sel­ten“, sag­te Haupt­au­tor Yu Cheng vom Natio­nal Astro­no­mic­al Obser­va­to­ry of Japan.

Die­se ein­zig­ar­ti­ge Klas­se stel­la­rer Feu­er­wer­ke, die soge­nann­ten Herbig-Haro-Objek­te (HH), sind hoch­gra­dig gebün­del­te Plas­ma­strah­len, die aus neu ent­ste­hen­den Ster­nen her­aus­schie­ßen. Sol­che Jets sind die spek­ta­ku­lä­re „Geburts­an­zei­ge“ eines Sterns an das Uni­ver­sum. Ein Teil des um den Zen­tral­stern her­um ange­sam­mel­ten Gases wird wahr­schein­lich unter dem Ein­fluss von Magnet­fel­dern ent­lang der Rota­ti­ons­ach­se des Sterns ausgestoßen.

Bis heu­te wur­den weit über 300 HH-Objek­te beob­ach­tet, jedoch haupt­säch­lich von Ster­nen mit gerin­ger Mas­se. Die­se spin­del­för­mi­gen Jets lie­fern Hin­wei­se auf die Beschaf­fen­heit neu ent­ste­hen­der Ster­ne. Die Ener­gie, die Enge und die evo­lu­tio­nä­ren Zeit­ska­len von HH-Objek­ten die­nen dazu, Model­le der Umge­bung und der phy­si­ka­li­schen Eigen­schaf­ten des jun­gen stel­la­ren Objekts, das den Aus­fluss antreibt, einzugrenzen.

„Ich war wirk­lich über­rascht von der Ord­nung, Sym­me­trie und Grö­ße des Jets, als wir ihn zum ers­ten Mal betrach­te­ten “, sag­te Co-Autor Jona­than Tan von der Uni­ver­si­ty of Vir­gi­nia in Char­lot­tes­ville und der Chal­mers Uni­ver­si­ty of Tech­no­lo­gy im schwe­di­schen Göteborg.

Sei­ne Ent­de­ckung lie­fert Hin­wei­se dar­auf, dass die Grö­ße der HH-Jets mit der Mas­se des Sterns, der sie antreibt, zuneh­men muss. Je mas­se­rei­cher der stel­la­re Motor ist, der das Plas­ma antreibt, des­to grö­ßer ist der Jet. Die detail­lier­te Fila­mentstruk­tur des Jets, die mit Webbs schar­fer Auf­lö­sung im Infra­rot­licht erfasst wur­de, ist ein Beweis dafür, dass der Jet in inter­stel­la­ren Staub und Gas ein­dringt. Dadurch ent­ste­hen ein­zel­ne Kno­ten, Bug­stoß­wel­len und linea­re Ketten.

Die in ent­ge­gen­ge­setz­te Rich­tun­gen ver­lau­fen­den Spit­zen des Jets ver­kör­pern die Ent­ste­hungs­ge­schich­te des Sterns. „Ursprüng­lich befand sich das Mate­ri­al nahe am Stern, aber über 100.000 Jah­re hin­weg brei­te­ten sich die Spit­zen nach außen aus, und das Mate­ri­al dahin­ter ist ein jün­ge­rer Aus­fluss “, sag­te Tan.

Ausreißer

Der Pro­to­clus­ter, in dem sich der gewal­ti­ge Jet befin­det, liegt fast dop­pelt so weit vom galak­ti­schen Zen­trum ent­fernt wie unse­re Son­ne und befin­det sich am Rand unse­rer Milchstraße.

Inner­halb des Stern­hau­fens bil­den sich noch eini­ge hun­dert Ster­ne. Da sie sich im galak­ti­schen Hin­ter­land befin­den, wei­sen die Ster­ne einen Man­gel an schwe­re­ren Ele­men­ten als Was­ser­stoff und Heli­um auf. Die­ser wird als Metal­li­zi­tät gemes­sen und nimmt im Lau­fe der kos­mi­schen Zeit all­mäh­lich zu, da jede Stern­ge­nera­ti­on End­pro­duk­te der Kern­fu­si­on durch Win­de und Super­no­vae aus­stößt. Die gerin­ge Metal­li­zi­tät von Sh2-284 spie­gelt sei­nen rela­tiv unbe­rühr­ten Zustand wider und macht ihn zu einem loka­len Ana­lo­gon für die Umge­bun­gen im frü­hen Uni­ver­sum, die eben­falls einen Man­gel an schwe­re­ren Ele­men­ten aufwiesen.

„Webbs her­vor­ra­gen­de Daten haben uns auch gezeigt, dass in Sh2-284 ver­gleichs­wei­se mehr Ster­ne mit gerin­ge­rer Mas­se zu ent­ste­hen schei­nen als in nähe­ren, metall­rei­che­ren Stern­hau­fen“, sag­te Co-Autor Mor­ten Ander­sen von der Euro­päi­schen Süd­stern­war­te und Haupt­au­tor einer zwei­ten Ver­öf­fent­li­chung über die Webb-Daten. „Die­ser Stern­hau­fen ist ein her­vor­ra­gen­des Gebiet, die uns hilft, die Stern­ent­ste­hung im gesam­ten Uni­ver­sum zu verstehen.“

„Mas­se­rei­che Ster­ne, wie der in die­sem Stern­hau­fen gefun­de­ne, haben einen sehr wich­ti­gen Ein­fluss auf die Ent­wick­lung von Gala­xien. Unse­re Ent­de­ckung gibt Auf­schluss über den Ent­ste­hungs­me­cha­nis­mus mas­se­rei­cher Ster­ne in Umge­bun­gen mit gerin­ger Metal­li­zi­tät, sodass wir die­sen mas­se­rei­chen Stern als Labor nut­zen kön­nen, um zu unter­su­chen, was in der frü­hen Geschich­te des Kos­mos vor sich ging“, füg­te Cheng hinzu.

Entfaltung des Sternenteppichs

Stern­jets, die durch die Gra­vi­ta­ti­ons­en­er­gie ange­trie­ben wer­den, die beim Mas­sen­wachs­tum eines Sterns frei­ge­setzt wird, kodie­ren die Ent­ste­hungs­ge­schich­te des Protosterns.

„Webbs neue Bil­der zei­gen, dass die Ent­ste­hung mas­se­rei­cher Ster­ne in sol­chen Umge­bun­gen über eine rela­tiv sta­bi­le Schei­be um den Stern her­um erfol­gen könn­te, wie sie in theo­re­ti­schen Model­len der Stern­ent­ste­hung, der soge­nann­ten Kern­ak­kre­ti­on, erwar­tet wird“, sag­te Tan. „Als wir einen mas­se­rei­chen Stern fan­den, der die­se Jets aus­stößt, wur­de uns klar, dass wir die Webb-Beob­ach­tun­gen nut­zen konn­ten, um Theo­rien zur Ent­ste­hung mas­se­rei­cher Ster­ne zu über­prü­fen. Wir ent­wi­ckel­ten neue theo­re­ti­sche Kern­ak­kre­ti­ons­mo­del­le, die an die Daten ange­passt waren und uns im Wesent­li­chen sagen, wel­che Art von Stern sich im Zen­trum befin­det. Die­se Model­le impli­zie­ren, dass der Stern etwa zehn­mal so mas­se­reich ist wie die Son­ne, noch wächst und die­sen Aus­fluss antreibt.“

Seit mehr als 30 Jah­ren sind sich Astro­no­men unei­nig dar­über, wie mas­se­rei­che Ster­ne ent­ste­hen. Eini­ge glau­ben, dass ein mas­se­rei­cher Stern einen sehr chao­ti­schen Pro­zess erfor­dert, der als kom­pe­ti­ti­ve Akkre­ti­on bezeich­net wird. Im Modell der kom­pe­ti­ti­ven Akkre­ti­on fällt Mate­ri­al aus vie­len ver­schie­de­nen Rich­tun­gen ein, sodass sich die Aus­rich­tung der Schei­be mit der Zeit ändert. Der Abfluss erfolgt senk­recht, ober­halb und unter­halb der Schei­be und scheint sich daher auch in ver­schie­de­ne Rich­tun­gen zu dre­hen und zu wenden.

„Da wir nun die gesam­te Geschich­te ken­nen, haben wir fest­ge­stellt, dass die gegen­über­lie­gen­den Sei­ten der Jets fast 180 Grad von­ein­an­der ent­fernt sind. Das sagt uns, dass die­se zen­tra­le Schei­be sta­bil gehal­ten wird und bestä­tigt eine Vor­her­sa­ge der Kern­ak­kre­ti­ons­theo­rie“, sag­te Tan.

Wo es einen mas­se­rei­chen Stern gibt, könn­ten auch ande­re in die­sem äuße­ren Rand­ge­biet der Milch­stra­ße exis­tie­ren. Ande­re mas­se­rei­che Ster­ne haben mög­li­cher­wei­se noch nicht den Punkt erreicht, an dem sie Aus­flüs­se im Stil römi­scher Ker­zen aus­sto­ßen. Daten des Ata­ca­ma Lar­ge Mil­li­me­ter Array in Chi­le, die eben­falls in die­ser Stu­die vor­ge­stellt wer­den, haben einen wei­te­ren dich­ten Stern­kern gefun­den, der sich mög­li­cher­wei­se in einem frü­he­ren Sta­di­um der Ent­ste­hung befindet.

Der Arti­kel wur­de zur Ver­öf­fent­li­chung im Astro­phy­si­cal Jour­nal angenommen.

Hintergrundinformationen

Webb ist das größ­te und leis­tungs­stärks­te Tele­skop, das jemals ins All gebracht wur­de. Im Rah­men eines inter­na­tio­na­len Koope­ra­ti­ons­ab­kom­mens stell­te die ESA den Start­dienst für das Tele­skop mit der Trä­ger­ra­ke­te Aria­ne 5 bereit. In Zusam­men­ar­beit mit Part­nern war die ESA für die Ent­wick­lung und Qua­li­fi­zie­rung der Anpas­sun­gen der Aria­ne 5 für die Webb-Mis­si­on sowie für die Beschaf­fung des Start­diens­tes durch Aria­nespace ver­ant­wort­lich. Die ESA stell­te auch den Spek­tro­gra­fen NIR­Spec und 50% des Mit­tel­in­fra­rot-Instru­ments MIRI zur Ver­fü­gung, das von einem Kon­sor­ti­um natio­nal finan­zier­ter euro­päi­scher Insti­tu­te (dem MIRI Euro­pean Con­sor­ti­um) in Zusam­men­ar­beit mit dem JPL und der Uni­ver­si­ty of Ari­zo­na ent­wi­ckelt und gebaut wurde.

Webb ist eine inter­na­tio­na­le Part­ner­schaft zwi­schen der NASA, der ESA und der Cana­di­an Space Agen­cy (CSA).

Bild­nach­weis: NASA, ESA, CSA, STScI, Y. Cheng (NAOJ), J. DePas­qua­le (STScI)

Links

Link zur ESA-Pres­se­mit­tei­lung weic2519

Andreas

Andreas Schnabel war bis zum Ende der Astronomie-Zeitschrift "Abenteuer Astronomie" im Jahr 2018 als Kolumnist tätig und schrieb dort über die aktuell sichtbaren Kometen. Er ist Mitglied der "Vereinigung für Sternfreunde e.V.". Neben Astronomie, betreibt der Autor des Blogs auch Fotografie und zeigt diese Bilder u.a. auf Flickr.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert